
Das Nachhaltigkeitskonzept der DGNB umfasst sechs Themenfelder. Abbildung: DGNB
Erklärt: DGNB-Zertifizierung von Gebäuden
Um die Nachhaltigkeit eines Gebäudes messbar und nach außen nachweisbar zu machen, wurden entsprechende Zertifizierungssysteme entwickelt. Dabei handelt es sich um Verfahren, mit denen man prüft, ob Gebäude bestimmte Anforderungskriterien erfüllen. Wird dies im Rahmen eines Zertifizierungsverfahrens bestätigt, erhält das Bauwerk ein Nachhaltigkeitszertifikat. Marktführer für solche Qualitätssiegel ist hierzulande die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen. Ihr System beurteilt den gesamten Lebenszyklus verschiedener Gebäudetypen anhand von insgesamt rund 50 Einzelkriterien.
Wenn in Deutschland heute Nachhaltigkeits-Zertifikate für Gebäude vergeben werden, dann hat in der Regel die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.) ihre Finger im Spiel. Ausnahmen betreffen vor allem Bundesgebäude, für die das Bundesbauministerium ein eigenes System entwickelt hat: das „Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen für Bundesgebäude“ (BNB).
Anspruchsvoll und praxisorientiert
Die DGNB wurde 2007 als Non-Profit- und Nichtregierungsorganisation in Stuttgart gegründet. Das wichtigste Vereinsziel bestand von Anfang an darin, das nachhaltige Bauen durch die Vergabe eines anspruchsvollen Qualitätszeichens für Gebäude zu fördern. In den Folgejahren entstand ein Zertifizierungssystem, das hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit stellt. DGNB-Zertifikate bewerten nicht nur die ökologische, ökonomische und soziokulturelle Qualität von Gebäuden, sondern gehen über dieses bekannte Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit hinaus. Die DGNB definiert sechs Themenfelder, die bei Planung und Bau eines nachhaltigen Bauwerks zu berücksichtigen sind: Neben den drei Grundpfeilern Ökologie, Ökonomie und Soziales wurden auch die Aspekte Technische Qualität, Prozessqualität und Standortqualität in das Bewertungssystem integriert.
Das klingt erst einmal ziemlich kompliziert, aber dem Verein ist es trotzdem gelungen, ein praxisorientiertes Zertifizierungssystem zu etablieren. Um das zu gewährleisten, hat man stets den Austausch und die Zusammenarbeit mit Vertretern aus allen Bereichen der Bau- und Immobilienwirtschaft gesucht. Aus den ursprünglich 16 Gründungsmitgliedern im Jahr 2007 sind heute mehr als 1.200 Vereinsmitglieder geworden, darunter Architekten und Ingenieure, Bauunternehmen, Bauherren, Baustoffhersteller, Ver- und Entsorgungsunternehmen, Mitglieder der Öffentlichen Hand, Nicht-Regierungsorganisationen, Prüfinstitute und Vertreter der Wissenschaft. Sie alle bringen ihr Know-how in die Vereinsarbeit ein.
Zahlreiche Nutzungsprofile

Natürlich nachhaltig: die Mitte 2014 bezogene neue DGNB-Geschäftsstelle in Stuttgart. Foto: DGNB
Nicht zuletzt diese breite Verankerung in der Branche hat es möglich gemacht, dass sich das DGNB-System so schnell in Deutschland durchgesetzt hat. Bereits auf der BAU 2009 wurden die ersten Gebäude-Zertifikate vergeben. Damals war das Zertifizierungssystem nur auf Neubauten im Bereich Büro- und Verwaltungsgebäude zugeschnitten. Heute bietet man bereits Bewertungsverfahren für 20 verschiedene Gebäudetypen an, beispielsweise auch für Wohn-, Industrie-, Handels-, Hotel-, Gesundheits- und Bildungsbauten.
Die meisten dieser so genannten Nutzungsprofile beziehen sich auf Neubauten, doch inzwischen zertifiziert die DGNB auch Bestandsgebäude, die mindestens seit drei Jahren in Betrieb sind. Entsprechende Bewertungssysteme gibt es derzeit für Wohn-, Büro- und Verwaltungsgebäude sowie für Handels- und Industriebauten. Außerdem können Kommunen und Investoren auch komplette Stadt-, Industrie- und Gewerbequartiere zertifizieren lassen. Ferner gibt es die Möglichkeit, ein so genanntes Masterplan-Zertifikat für baugleiche Gebäude zu erhalten, etwa für Fachmärkte oder Fertighäuser.
Mittlerweile hat die DGNB schon über 640 Gebäudezertifikate vergeben, und rund 280 weitere Projekte befinden sich aktuell im Zertifizierungsprozess (Stand: September 2014). Einige der Objekte sind übrigens im Ausland angesiedelt, vor allem in Dänemark, Österreich und in der Schweiz. Dafür wurde eine internationale Version des DGNB-Systems erarbeitet.
Begleitung durch Auditoren
Bauherren, die sich für eine Zertifizierung ihres Gebäudes entscheiden, können auf umfangreiche Planungsunterlagen für nachhaltige Gebäude aller Nutzungsprofile zurückgreifen. Der komplette Zertifizierungsprozess wird zudem von Auditoren begleitet, die mit den Grundfragen des nachhaltigen Bauens ebenso vertraut sind wie mit den Details des DGNB-Systems. Der Verein hat sie extra für diese Aufgabe ausgebildet.
Grundsätzlich wird bei der Zertifizierung durch die DGNB der gesamte Lebenszyklus eines Bauwerks betrachtet – von der Herstellung bis zur Entsorgung. Zu jedem Nutzungsprofil gibt es einen umfangeichen Katalog an Anforderungskriterien, die für die oben genannten sechs Themenfelder erarbeitet wurden. Insgesamt hat die DGNB mehr als 50 Einzelkriterien zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden definiert, ihre Anzahl schwankt je nach Gebäudetyp beziehungsweise Nutzungsprofil.
Beispiel Wohngebäude

Dieses Einfamilien-Musterwohnhaus erhielt 2013 ein Silber-Zertifikat der DGNB. Foto: Viebrockhaus AG
Beim Nutzungsprofil für kleine Wohngebäude (bis zu sechs Wohneinheiten) gibt es beispielsweise 28 Anforderungskriterien. Im Themenfeld Ökologie geht es dabei etwa um die Ökobilanz der eingesetzten Bauprodukte, um Trinkwasserbedarf und Abwasseraufkommen oder um die Flächeninanspruchnahme des Gebäudes. Beim Themenfeld Ökonomie werden die „Gebäudebezogenen Kosten im Lebenszyklus“, „Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit“, aber auch die allgemeine „Marktfähigkeit“ des Objekts bewertet. Im Themenfeld „Soziokulturelle und funktionale Qualität“ beleuchtet die DGNB Punkte wie Innenraumqualität, Barrierefreiheit, Sicherheitsempfinden und Grundrissqualitäten.
Bei der Bewertungsdimension „Technische Qualität“ stehen Wärme-, Brand- und Schallschutz sowie die Rückbau- und Demontagefreundlichkeit im Fokus, und im Themenfeld Prozessqualität beziehen sich die Bewertungskriterien auf die Qualität der Gebäudeplanung und Bauausführung. Zur Standortqualität schließlich gehören Punkte wie die Verkehrsanbindung und die „Nähe zu nutzungsrelevanten Objekten und Einrichtungen“. Wie gesagt: Die hier genannten Beispiele beziehen sich nur auf das Nutzungsprofil für kleine Wohngebäude. Bei den Zertifizierungsverfahren für größere Bauobjekte gibt es noch viel mehr Bewertungskriterien.
Bewertungsverfahren
Für jedes Einzelkriterium hat die DGNB Zielwerte definiert. Allerdings schreibt das System nicht vor, durch welche Baumaßnahmen oder technische Vorrichtungen diese Ziele zu erreichen sind. Der konkrete Weg zur Erfüllung der Nachhaltigkeits-Anforderungen bleibt dem Bauherrn freigestellt. Für das Erreichen der Zielvorgaben bei den Einzelkriterien vergibt die DGNB jeweils bis zu zehn Bewertungspunkte. Aus der Kombination der Bewertungspunkte mit der jeweiligen Gewichtung eines Kriteriums errechnet sich der konkrete Erfüllungsgrad für die sechs Themenfelder (in Prozent). In die Gesamtbewertung des Gebäudes fließen die ersten vier Themenfelder mit gleicher Gewichtung ein (jeweils zu 22,5%). Das Themenfeld Prozessqualität fließt dagegen nur mit 10% Gewichtung in die Gesamtnote ein. Die Standortqualität wiederum wird gar nicht in die Gebäudebewertung hineingerechnet, sondern separat ausgewiesen.
Am besten lässt sich die Endbewertung an einem Beispiel verdeutlichen. Die Hotelkette Adagio hat ihren 2012 fertig gestellten Neubau in der Kölner Innenstadt von der DGNB zertifizieren lassen. Der Erfüllungsgrad bei der ökologischen Qualität betrug hier 66,9%, bei der ökonomischen Qualität 90,8%, bei der soziokulturellen Qualität 52,6%, bei der technischen Qualität 71,1% und bei der Prozessqualität 69,7%. Für die Gesamtbewertung des Objekts ergab sich daraus ein Erfüllungsgrad von 70,3%. Die separat ausgewiesene Standortbewertung lag bei 57,7%. Für diese Bewertung erhielt das Hotel ein Zertifikat in Silber. Hintergrund: Je nach Erfüllung der definierten Anforderungen erhalten die zertifizierten Gebäude eine Auszeichnung in Bronze (ab 50% Gesamterfüllungsgrad), Silber (ab 65%) oder Gold (ab 80%).
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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