
Schadstoffemissionen während der Produktion fließen in jede Ökobilanz ein. Foto: Uwe Schlick / www.pixelio.de
Ökobilanz bei Baustoffen – was sie bedeutet
„Ökobilanz“ ist ein typisch deutscher Ausdruck. In der angelsächsischen Welt lautet die Bezeichnung Life Cycle Assessment (LCA), was hierzulande meist als „Lebenszyklusanalyse“ übersetzt wird. Doch egal, ob Ökobilanz oder LCA – beide Begriffe bezeichnen dasselbe Verfahren, das in den internationalen Normen DIN ISO 14040 und DIN ISO 14044 beschrieben wird. Es handelt sich um ein Konzept zur Quantifizierung der negativen Umweltwirkungen, die durch die Herstellung und Nutzung von Bauprodukten ausgelöst werden.
Unter Umweltwirkungen versteht man in diesem Zusammenhang insbesondere Rohstoff- und Energieverbrauch sowie Schadstoffemissionen. Je geringer die Werte sind, umso besser die Ökobilanz. Theoretisch umfasst eine Ökobilanz sämtliche Umweltwirkungen eines Produkts über dessen gesamte Lebensdauer, also von der Rohstoffgewinnung über Herstellung und Nutzungsphase bis hin zur Entsorgung. Oft wird der Rahmen aber enger gesteckt. In den deutschen Umwelt-Produktdeklarationen (EPDs) für Bauprodukte werden beispielsweise nur die Lebenswegabschnitte von der Rohstoffgewinnung bis zur vollendeten Produktion betrachtet („von der Wiege bis zum Werkstor“).
Ökobilanzen in EPDs
Das macht auch Sinn, denn ab Werktor haben die Hersteller ja immer weniger Informationen über das Leben ihrer Bauprodukte, und es lässt sich kaum noch ein einheitlicher Lebenszyklus darstellen und beziffern. Schließlich macht es einen Unterschied, ob ein deutscher Mauerwerksteller seine Steine auf eine nahe liegende Baustelle oder nach China liefert. Ein langer Weg zum Kunden würde die Ökobilanz der gelieferten Produkte schlagartig verschlechtern, denn ein solcher Transport verschlingt viel Energie und verursacht hohe Schadstoffemissionen.
Würde man solche Prozesse ab Werktor mit berücksichtigen, wäre eine allgemeine Ökobilanz – zum Beispiel für die Mineralwolle eines bestimmten Herstellers – gar nicht möglich. Für jede Produktpalette müsste die Bilanz anders ausfallen, je nachdem, wohin die Ware gerade geht. Außerdem hängen viele spätere Umweltwirkungen der Produkte stark davon ab, was die jeweiligen Kunden mit der Ware anstellen. Wie sie z. B. verbaut und später entsorgt wird, entscheidet ja nicht der Hersteller. Kurzum: Eine Ökobilanzierung von Bauprodukten ab Werkstor macht wenig Sinn, weil sie praktisch kaum umsetzbar ist und weil stets Umweltwirkungen in das Ergebnis einfließen würden, die mit dem Produkt an sich gar nichts zu tun haben. Das würde auch die Vergleichbarkeit der Ökobilanzen unterschiedlicher Bauprodukte erschweren.
All das bedeutet aber nicht, dass die Umweltwirkungen, die ein Produkt vom Werkstor bis zu späteren Entsorgung auslöst, unwichtig wären. Im Gegenteil. Sie spielen zwar keine Rolle in den Produktökobilanzen der EPDs, aber sie sind ein wichtiges Kriterium zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden. Für die Bewertung eines konkreten Bauwerks macht es nämlich schon Sinn, auch die Transportwege der Baustoffe oder ihr Emissionsverhalten im konkreten Einbauzustand unter die Lupe zu nehmen. In den EPDs genügen dagegen allgemeine Aussagen darüber, inwieweit ein Bauprodukt überhaupt recycelt werden kann oder ob Schadstoffausdünstungen während der Nutzungsphase zu befürchten sind.
Rahmenbedingungen und Sachbilanz

Berechnet wird auch der Verbrauch an nicht nachwachsenden Rohstoffen. Foto: Rike / www.pixelio.de
Zu Beginn jeder Ökobilanz muss erst einmal definiert werden, wofür eigentlich die Umweltwirkungen analysiert werden sollen. Mit anderen Worten: Der Untersuchungsgegenstand ist festzulegen. Entscheidend ist hier die Definition der Produktart, der Produktmenge und des betrachteten Lebenswegabschnitts. Es könnte also beispielsweise festgelegt werden, dass sich die Lebenszyklusanalyse auf 1kg Mineralwolle des Herstellers X bezieht und man den Lebensweg „von der Wiege bis zum Werkstor“ betrachtet.
Sind die Rahmenbedingungen geklärt, geht es an die Aufstellung der so genannten Sachbilanz. Dabei werden die „Stoffströme“ bilanziert, die auf dem Lebensweg des Produkts stattfinden. Das sind auf der einen Seite alle Rohstoffe und Energien, die in das Produkt einfließen und auf der anderen Seite alle Emissionen in die Luft, in den Boden oder in Abwasserströme, die während des definierten Lebenswegabschnitts anfallen. Bei der verbrauchten Energie unterscheidet man noch die Menge, die aus erneuerbaren Energiequellen stammt (z. B. Sonne, Wasser, Wind), und den Anteil aus nicht erneuerbaren Energieträgern (z. B. Kohle, Erdöl, Gas).
Wirkungsabschätzung
Die Stoffströme der Sachbilanz bilden die Informationsbasis, auf der im nächsten Schritt die Umweltauswirkungen abgeschätzt werden, die sich im Verlauf des Produktlebenszyklus ergeben können. Anhand unseres Beispiels mit der Mineralwolle kann man diesen Vorgang vereinfacht so beschreiben: Bei der Wirkungsabschätzung versucht man zu beziffern, wie stark die Produktion eines Kilos Mineralwolle des Herstellers X bestimmte Umweltprobleme verschärft.
Bekanntestes Beispiel ist sicher der Treibhauseffekt, der durch Gasemissionen wie Kohlendioxid (CO2) begünstigt wird und zur Klimaerwärmung beiträgt. Das Ergebnis der Wirkungsabschätzung wäre hier das „Treibhauspotenzial“ von einem Kilogramm Mineralwolle. Es wird in der Maßeinheit „kg CO2-Äquivalent“ angegeben. Der Zusatz „Äquivalent“ weist darauf hin, dass neben CO2 auch noch andere Gas-Emissionen, die den Treibhauseffekt verstärken, in die Berechnung einfließen.
Auf ähnliche Weise berechnet man auch das Potenzial zur Verschlimmerung anderer Umweltprobleme: z. B. der Ozonschichtabbau durch Treibgase sowie Kälte- und Lösemittel (berechnet in R11-Äquivalent), die Versauerung der Umwelt (berechnet in Schwefeldioxid-Äquivalent), die Überdüngung von Böden und Gewässern (berechnet in PO4-Äquivalent) oder der Sommersmog (berechnet in Ethen-Äquivalent). Für all diese negativen Prozesse wird abgeschätzt, wie stark sie durch die Herstellung unseres Kilos Mineralwolle verstärkt werden.
Ein weiterer wichtiger Umwelt-Indikator in jeder Ökobilanz von Bauprodukten ist schließlich der so genannte abiotische Ressourcenverbrauch. Das Wort „abiotisch“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet dort so viel wie „leblos“ oder „ohne Leben“. Mit dem abiotischen Ressourcenverbrauch beziffert man also den Verbrauch an nicht nachwachsenden Rohstoffen während des Lebenszyklus eines Produktes.