RM Rudolf Müller
Licht Aktiv Haus Velux Hamburg

Vom 50er-Jahre-Altbau zum Nullenergiegebäude: das Hamburger Licht-Aktiv-Haus. Foto: Velux

Energetisches Bauen
19. März 2015 | Artikel teilen Artikel teilen

Was sind Nullenergie- und Plusenergiehäuser?

Wenn über die Zukunft des Wohnens debattiert wird, werden zunehmend Nullenergie- oder sogar Plusenergiehäuser gefordert. Die verbrauchen nicht nur wenig Energie, sondern produzieren diese auch noch selbst.

Ein Gebäude wird zum Nullenergiehaus, wenn es seinen Energiebedarf im Jahresmittel komplett durch eigene Energieproduktion decken kann. Das geschieht meist durch Solartechnik (Wärme und Strom) oder auch durch das „Anzapfen“ von Umweltwärme aus dem Erdreich oder der Luft. Erzeugt das Gebäude sogar mehr Energie als es selbst verbraucht, spricht man von einem Plusenergiehaus. Das sind dann regelrechte kleine Kraftwerke.

Die Formulierung „im Jahresmittel“ bei der Definition des Nullenergiehauses weist darauf hin, dass zeitweise auch Fremdenergie aufgenommen werden darf. In der dunklen Jahreszeit, wenn die Sonne nur selten scheint, ist das zumindest hierzulande unvermeidbar. Entscheidend ist, dass der zeitweise Energiebezug von außen zu anderen Jahreszeiten durch eine „Überproduktion“ an selbst erzeugter Energie wieder ausgeglichen wird. Ein Nullenergiehaus muss also nicht dauerhaft energieautark sein – das Kriterium „Null Fremdenergie“ ist nur rechnerisch zu erfüllen.

Unklare Definitionen

Leider sind die Definitionen von Nullenergiehaus und Plusenergiehaus nicht so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Insbesondere der Begriff Energiebedarf wird in der Praxis uneinheitlich verwendet. Viele sprechen nämlich bereits von einem Nullenergie- beziehungsweise Plusenergiehaus, wenn nur der Bedarf und die Eigenproduktion an Wärmeenergie bilanziert werden. Dabei erscheint es sinnvoller, auch den Strombedarf und die Stromeigenproduktion in die Energiebilanz des Gebäudes mit einzubeziehen. Doch wie gesagt: Das geschieht nicht einheitlich. Wenn von Nullenergie- oder Plusenergiehäusern die Rede ist, bleibt leider oft unklar, welche Energieformen eigentlich dazugezählt wurden.

Passivhaus mit Solartechnik

Schaut man auf die Bautechnik, so finden sich in Nullenergie- und Plusenergiehäusern meist dieselben Lösungskomponenten, die man auch vom Passivhaus kennt: große Fensterflächen nach Süden, extrem gut gedämmte Gebäudehülle, automatische Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung. Tatsächlich sind Null-/Plusenergiehäuser oft Passivhäuser mit zusätzlicher Solartechnik. Was natürlich nicht heißt, dass die lokale Wärme- und Stromgewinnung nicht auch mit anderen Mitteln betrieben werden kann – z. B. mit einem Mikro-Blockheizkraftwerk.

Da beide Gebäudearten meist auf Passivhauskomponenten basieren, gibt es zwischen Nullenergie- und Plusenergiehaus keine grundsätzlichen bautechnischen Unterschiede. Das Plusenergiehaus produziert einfach nur noch mehr eigene Energie. Im Idealfall ist es in der Lage, diese Energie zu speichern, sodass sie zeitversetzt im Haus verbraucht werden kann.

Praktisch erprobt

Weder Nullenergie- noch Plusenergiehäuser sind heute noch Science Fiction. Zumindest im Rahmen von Modellprojekten sind sie bereits vielerorts verwirklicht. Im bayerischen Bad Aibling entsteht derzeit sogar die „Nullenergiestadt Mietraching“. Auf einem ehemaligen amerikanischen Militärgelände werden dort 15 größere Bestandsgebäude auf Nullenergie-Standard gebracht. Ein bekanntes Beispiel für ein bereits realisiertes Nullenergiehaus im Bestand ist auch das so genannte „Licht-Aktiv-Haus“ in Hamburg. Der Dachfensterhersteller Velux hat dort im Rahmen eines Modellprojekts ein altes Siedlerhaus aus den 1950er-Jahren von Grund auf modernisiert (siehe Foto).

Das erste Plusenergiehaus der Welt entstand bereits 1994 in Freiburg. Der so genannte „Heliotrop“ des Architekten Rolf Disch ist ein zylinderförmiges Gebäude, das stark gedämmt und auf einer Seite fast komplett verglast ist. Das Besondere: Das Haus dreht sich im Tagesverlauf mit der Sonne, sodass ein Maximum an solaren Wärmegewinnen erzielbar ist. Im Sommer kann man die transparente Hausseite aber auch gezielt von der Sonne abwenden, um eine Überhitzung der Räume zu vermeiden.

Plusenergiehaus im Bestand

Plusenergiehaus Bottrop

Plusenergiehaus in Bottrop: vom Unternehmen Vivawest modernisierter Wohnaltbau. Foto: Krischerfotografie

Natürlich ist das Drehhaus von Rolf Disch eher die teure Spielerei eines Solartechnikfans als ein realistisches Vorbild für den Wohnhaus-Massenmarkt. Interessanter sind da schon aktuelle Projekte wie das so genannte „Zukunftshaus“ in Bottrop. Dabei handelt es sich um ein ganz normales Mehrfamilienhaus aus den 1960er-Jahren, das vom Gelsenkirchener Immobilienunternehmen Vivawest zum „Plusenergiehaus“ saniert wurde.

In Bottrop flossen Investitionen in Höhe von 450.000 Euro in eine sehr gute Dämmung und Verglasung, eine durch Erdwärme betriebene Wärmepumpe für die Beheizung und die Warmwasserbereitung, eine kontrollierte Be- und Entlüftung mit integrierter Wärmerückgewinnung, Photovoltaikmodule an der Giebelwand und auf dem Dach und nicht zuletzt in eine smarte Hausautomatisierung. Im Sommer 2014 erfolgte die Neueinweihung des Hauses. Ob in der Praxis tatsächlich ein Plus bei der Energiebilanz herauskommt, muss allerdings die Zukunft erst noch zeigen. Entscheidend dafür ist insbesondere das tatsächliche Verbrauchsverhalten der Bewohner.

Weitere Fachwissen-Beiträge zu Energiesparhäusern:

KfW-Effizienzhaus
Drei-Liter-Haus
Passivhaus



Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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