RM Rudolf Müller
Erfinder Hendrik Jonkers mit einer Probe seines selbstheilenden Betons. Foto: Europäisches Patentamt

Erfinder Hendrik Jonkers mit einer Probe seines selbstheilenden Betons. Foto: Europäisches Patentamt

Grundstoffe des Bauens
26. April 2016 | Artikel teilen Artikel teilen

Selbstheilender Beton: Bakterien gegen Risse

Beton ist der Massenbaustoff unserer Zeit. Neben vielen Vorteilen hat der Kunststein aber auch Nachteile – vor allem seine geringe Zugfestigkeit und die Anfälligkeit für spannungsbedingte Risse. Die Erfindung von selbstheilendem Beton könnte hier in Zukunft Abhilfe schaffen.

Risse im Beton verursachen immer wieder Instandhaltungskosten in Milliardenhöhe. Man denke nur an die häufigen Meldungen über Autobahnsperrungen wegen Schäden an Brücken oder auf Fahrbahnoberflächen. Wäre es da nicht wunderbar, wenn sich solche Betonrisse wie von Geisterhand bewegt einfach von selbst wieder verschließen würden? Schon für die nähere Zukunft ist so etwas keine Utopie mehr! Möglich macht das eine Erfindung des Mikrobiologen Hendrik Jonkers. Für seinen selbstheilenden „Bio-Beton“ hat sich der Niederländer die Natur zum Vorbild genommen.

Kalkproduzierende Bakterien

Was hat ein Mikrobiologe mit der Baubranche zu tun? Ganz einfach: Die neuartige Betonmischung enthält kalkproduzierende Bakterien. Durch deren Wirken sollen teure und komplizierte manuelle Reparaturen von Betonbauten künftig überflüssig werden. Der Clou ist: Die Bakterien werden in wenige Millimeter große Tonpellets eingekapselt – zusammen mit Stickstoff, Phosphor und einem Nährstoff auf Kalziumlaktat-Basis.

Derart eingeschlossen können sie theoretisch bis zu 200 Jahre „schlafend“ im Beton verharren. Aktiv werden sie erst, wenn Wasser durch Risse in die Betonkonstruktion eindringt. Erst dann nehmen die Bakterien die Nährstoffe auf und beginnen Kalkstein zu produzieren. Mithilfe des Kalks sollen sich die Risse dann selbstständig verschließen, ohne dass der Mensch eingreifen muss.

Selbstheilungskräfte der Natur

Zu seiner Erfindung inspiriert wurde der Wissenschaftler Jonkers durch die Beschäftigung mit lebenden Organismen, die über Selbstheilungskräfte verfügen. Während seiner Arbeit am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen hatte er beispielweise mit dem Oktopus zu tun, bei dem abgetrennte Tentakeln nachwachsen, oder mit Pflanzen, die mithilfe eines Ablegers einen völlig neuen Organismus ausbilden. 2006 wechselte er an die Fakultät für Bauingenieurwesen und Geowissenschaften der Technischen Universität Delft in den Niederlanden, wo er über das Verhalten von Bakterien forschte. Jonkers war also bereits tief in die Materie eingedrungen, als ihm die Idee kam, die kalkproduzierenden Bakteriengattungen Bacillus pseudofirmus und B. cohnii in eine Betonmatrix einzuschließen. Übrigens sind die genannten Bakterienstämme für Menschen völlig ungefährlich.

Von der Idee zur Produktentwicklung

Risse im Beton verursachen Jahr für Jahr Milliardenkosten. Foto: Pixabay

Risse im Beton verursachen Jahr für Jahr Milliardenkosten.
Foto: Pixabay

Insgesamt haben Hendrik Jonkers und sein Forschungsteam bereits drei verschiedene Produkte auf der Grundlage von bakterienhaltigem Beton entwickelt. Neben dem selbstheilenden Beton gibt es auch einen Mörtel sowie eine flüssige Lösung mit Bakterienzusatz. Die beiden letztgenannten Produkte sollen zur kostengünstigen Reparatur von herkömmlichem Beton ohne Selbstheilungskräfte dienen. Sie werden also nachträglich auf Bauteile aufgetragen, bei denen es zu Rissbildungen gekommen ist.

Der selbstheilende Bio-Beton wurde bereits ausgiebigen Langzeittests an einem Gebäude im niederländischen Breda unterzogen, die erfolgreich verliefen. Wie immer bei ganz neuen Ideen dauert es nun sicher eine Weile, bis passende Industriepartner gefunden sind und die Produkte tatsächlich in den Markt eingeführt werden. Derzeit forscht Jonkers bereits an einer alternativen Technik zur Einkapselung der Bakterien. Dadurch sollen die bisherigen Produktionskosten des selbstheilenden Betons etwa um die Hälfte sinken. Gelingt dies, dann würde der Bio-Beton nur noch wenig mehr kosten als herkömmlicher Beton. Demgegenüber stünden aber voraussichtlich langfristig deutlich geringere Reparatur-und Instandhaltungskosten.


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Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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