Planer und Bauausführende sollten wissen, wie man einfach und rechtssicher zugleich baut. (Quelle: Pixabay)

Baurecht 2024-09-10T07:00:00Z Gebäudetyp E: Was steht in der Leitlinie?

Die Mitte Juli veröffentlichte „Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E“ soll in Deutschland ein einfacheres und kostengünstigeres Bauen ermöglichen, das trotzdem rechtssicher ist. Doch was genau steht eigentlich in dem knapp 60-seitigen Dokument, das vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen zusammen mit dem „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ erarbeitet wurde?

Eins ist klar: Einfacheres Bauen darf nicht zu Lasten der Gebäudesicherheit gehen. Der Gebäudetyp E zielt daher ausdrücklich nicht auf baurechtliche Vereinfachungen in sicherheitsrelevanten Bereichen wie Statik oder Brandschutz. Es geht um die vielen anderen vermeintlichen Baustandards, die heute meist zur Anwendung kommen, obwohl sie – baurechtlich betrachtet – oft gar nicht zwingend notwendig sind.

Zur Erinnerung: Beim Gebäudetyp E steht das E steht für „einfach“ – aber auch für experimentell. Der Begriff tauchte vor knapp drei Jahren erstmals im Rahmen einer Initiative der Bayerischen Architektenkammer auf, machte dann aber schnell bundesweite Karriere. Ende September 2023 hat sich die Bundesregierung im Rahmen ihres 14-Punkte-Plans dazu verpflichtet, eine „Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E“ vorzulegen. Das ist nun geschehen.

Abweichung von Regeln der Technik

Der Mitte Juli auf der Website des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) veröffentlichte Entwurf der „Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E“ steht hier als kostenloser PDF-Download bereit.

Die Leitlinie steht im Internet als kostenloser PDF-Download bereit. (Quelle: BMWSB)

Er enthält vor allem Hinweise, wie sich Architekten- und Bauverträge so formulieren lassen, dass ein einfacheres Bauen rechtssicher möglich wird, ohne dass Planer und Bauausführende später einem Haftungsrisiko wegen vermeintlicher Baumängel ausgesetzt sind. Wie es gleich zu Beginn der Leitlinie heißt, geht es um eine „größere Freiheit der Planung von den als Korsett empfundenen technischen Normen, die sich um alle Gewerke, Konstruktionen und Materialien des Bauens ranken“.

Bewusste Abweichungen von der einen oder anderen technischen Norm könnten vor allem den Wohnungsbau kostengünstiger machen. Politik und Baubranche scheinen sich mittlerweile einig, dass dies die einzige Möglichkeit ist, um in naher Zukunft wieder mehr bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Anhand beispielhafter Bauaktivitäten und mithilfe konkreter Formulierungshilfen zeigt die Leitlinie, wie sich zwischen Planer/Bauunternehmer und Bauherr eine rechtssichere Abweichung von den in der Baubranche etablierten allgemein anerkannten Regeln der Technik (aRdT) vereinbaren lässt. Diese Regeln sind im Laufe der Zeit sehr umfangreich geworden und umfassen alle Bereiche des Bauens. Werden sie in der Praxis komplett umgesetzt, führt das fast automatisch zu hohen Baupreisen.

Es gibt zwar durchaus aRdT, die bauordnungsrechtlich unverzichtbare Standards formulieren und damit zwingend einzuhalten sind. Für die Mehrzahl der Regeln gilt das aber nicht. Diese technischen Normen spiegeln laut Leitlinie nur den Stand der Technik zu konkreten Leistungen, Konstruktionen oder Materialien wider und seien daher rechtlich betrachtet nur „Empfehlungen der Fachgremien, die diese Normen entwickelt haben“.

Beispielhafte Vereinfachungen

Um zu veranschaulichen, was einfacheres Bauen in der Praxis tatsächlich bedeuten könnte, liefert die Leitlinie eine Reihe von Beispielen. Da geht es beispielsweise um die Errichtung von Geschossdecken aus Stahlbeton, die man heute nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik im Neubau üblicherweise mit 18 cm Stärke baut. Es würden aber auch 4 cm dünnere Betondecken reichen, ohne dass dadurch der Mindest-Trittschallschutz gefährdet würde – heißt es in der Leitlinie. So ließen sich Materialeinsatz und Kosten senken.

Eine rechtssichere Vereinbarung zur Abweichung von aRdT ist dringend zu empfehlen. (Quelle: Pixabay)

Wichtig sei allerdings, dass die Vor- und Nachteile derartiger Abweichungen von den aRdT gegenüber der Bauherrenschaft klar kommuniziert und möglichst schriftlich festgehalten werden. Das gilt auch für das zweite in der Leitlinie dargestellte Beispiel: den Bau von Holzbalkendecken. Im Neubau werden diese heute üblicherweise in Kombination mit Estrich gebaut. Doch es geht rechtssicher auch ohne, sofern der Bauherr zuvor über mögliche Komforteinschränkungen aufgeklärt wurde.

Ein weiteres Beispiel betrifft die Anzahl der Steckdosen in Neubauten. Nach den aRdT sind in einer durchschnittlichen Dreizimmerwohnung heute sage und schreibe 47 Steckdosen vorgesehen. Je nach konkretem Bedarf ließe sich in vielen Wohnungen eine ausreichende Stromversorgung auch mit weniger Steckdosen realisieren – so die Leitlinie.

Rechtssichere Verträge unumgänglich

Dass vor allem im Wohnbau Kosteneinsparungen dringend notwendig sind, gilt in der Baubranche eigentlich als Gemeinplatz. Trotzdem sind die meisten Planer und Baufirmen bis heute sehr vorsichtig bei Abweichungen von den aRdT zugunsten eines einfacheren Bauens. Das hängt vor allem mit der Rechtsprechung bei Baumängelprozessen zusammen. Diese tendiert bisher häufig dazu, eine mangelhafte Leistung anzunehmen, wenn beim Bauen nicht alle aRdT berücksichtigt wurden.

Die Folge ist, dass in der heutigen Baupraxis massenhaft technische Normen zur Anwendung kommen, die eigentlich eher dem Komfort dienen und – zumindest unter Sicherheitsaspekten – gar nicht zwingend notwendig wären. Die neue Leitlinie will Wege aufweisen, wie dieser kostentreibende Teufelskreis durchbrochen werden kann, ohne dass dadurch für Planer und Bauausführende neue Haftungsrisiken entstehen.

Dabei führt kein Weg daran vorbei, die beabsichtigten Abweichungen von den aRdT unmissverständlich in Architekten- und/oder Bauverträgen zu fixieren. Warum? Weil die Rechtsprechung meist so argumentiert, dass stillschweigend die Einhaltung der aRdT vereinbart wurde, wenn in den Verträgen nicht ausdrücklich eine Abweichung von diesen Regeln festgehalten wurde.

Bauherren entscheiden eigenverantwortlich

Der inhaltliche Kern der Leitlinie wird auf Seite 5 des Dokuments wie folgt beschrieben: „Wie kann eine rechtssichere Vereinbarung zur Abweichung von aRdT geschlossen werden, durch die der Planer/Unternehmer seiner Aufklärungspflicht gegenüber der Bauherrin (bezüglich der Abweichung an sich und der darin liegenden Risiken für die Bauherrin) nachkommt, und in der die Bauherrin mit technischem und wirtschaftlichem, gegebenenfalls auch rechtlichem Verständnis für die alternative Lösung und deren Folgen der Abweichung zustimmt und dadurch die Risiken übernimmt.

Die Leitlinie erläutert den Umfang der Aufklärungspflicht von Architekten/Planern beziehungsweise Bauunternehmern und gibt anhand von Planungsbeispielen exemplarische Aufklärungsinhalte und Vertragsformulierungen an die Hand. Erklärtes Ziel der Aufklärung ist es, die Bauherrenschaft so fachkundig zu machen, dass sie eigenverantwortlich entscheiden kann, ob sie die Abweichung zu Gunsten von Kosteneinsparungen befürwortet.

Die Leitlinie macht auch klar, dass umso mehr Aufklärungsbedarf besteht, je weniger Erfahrung und Kenntnisse der Bauherr hat. Bei Wohnungsbaugesellschaften oder anderen Organisationen, die regelmäßig zu gewerblichen Zwecken und nicht nur für den Eigenbedarf bauen, genüge dagegen ein geringerer Aufklärungsaufwand. Perspektiv will die Bundesregierung übrigens erreichen, dass bei Projekten zwischen fachkundigen Vertragspartnern auch ohne Aufklärung von den aRdT abgewichen werden darf. Dafür soll mit einem „Gebäudetyp-E-Gesetz“ das Werk-/Bauvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entsprechend angepasst werden.

zuletzt editiert am 05. September 2024