Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ warnt vor einer „neuen und in ihrer Dimension beängstigenden Sozialwohnungsnot“ noch in diesem Jahr. Hintergrund ist eine neue Wohnungsbau-Studie, die Mitte Januar in Berlin vorgestellt wurde. Um die erwartete Sozialwohnungsnot zu bremsen, fordert das Verbändebündnis staatliche Unterstützung in Form eines Sondervermögens über 50 Mrd. Euro.
Die neue Studie heißt „ Bauen und Wohnen in der Krise “ und wurde vom Pestel-Institut (Hannover) und dem Bauforschungsinstitut ARGE (Kiel) erstellt. Der Auftrag stammt vom Verbändebündnis „Soziales Wohnen“, zu dem sich neben den Branchenverbänden Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel sowie Deutsche Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau auch der Deutsche Mieterbund, die Gewerkschaft IG BAU und die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie zusammengeschlossen haben.
Rekord-Zuwanderung und Wohnungsnot

Im Fokus der rund 40-seitigen Wohnungsbau-Studie steht eine Prognose für Entwicklung des sozialen Wohnungsmarktes. Diese erfolgt auf Grundlage der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland und der daraus abzuleitenden Wohnungsnachfrage auf der einen Seite sowie dem Wohnungsneubau und damit dem Angebot an Wohnungen auf der anderen Seite.
Die amtliche Einwohnerzahl Deutschlands beträgt aktuell rund 84 Mio. und hat sich zuletzt äußerst dynamisch entwickelt. 2022 ergab die Bilanz von Zu- und Abwanderung ein Plus von rund 1,5 Mio. Menschen, die zusätzlich in Deutschland leben (Wanderungsgewinn). „Wir haben damit eine absolute Rekord-Zuwanderung – mehr als im bisherigen Rekord-Flüchtlingsjahr 2015“, sagt Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts.
Ein Teil der Bevölkerungszunahme geht natürlich auf Kriegsflüchtlinge zurück, aber auch unabhängig davon wird die Wohnraumnachfrage in Deutschland wahrscheinlich weiter steigen, denn der Fachkräftemangel hierzulande macht künftig mehr gesteuerte Zuwanderung notwendig. „Allein bis 2035 werden ohne Zuwanderung rund 4,5 Mio. Kräfte auf dem Arbeitsmarkt fehlen“, prognostiziert Janina Bessenich, Geschäftsführerin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie. „Wir sind künftig auf 300.000 bis 500.000 Menschen angewiesen, die pro Jahr zu uns kommen. Aber wo sollen sie wohnen?“
Die neue Wohnungsbau-Studie erwartet für die nächsten Jahre einen weiteren Bevölkerungsanstieg durch Wanderungsgewinn, allerdings nur noch in Höhe von durchschnittlich 330.000 Personen pro Jahr. Bis 2035 werde die Einwohnerzahl noch bis auf knapp 85 Mio. Personen ansteigen. Wahrscheinlich werden auch in Zukunft etliche Neuankömmlinge auf staatlich geförderten Wohnraum angewiesen sein. „Wer nach Deutschland flüchtet und bleibt, ist auf den sozialen Wohnungsmarkt angewiesen“, bringt es Matthias Günther auf den Punkt.
Der Leiter des Pestel-Instituts legt damit den Finger in eine schon seit Längerem bestehende Wunde. Die Zahl der Sozialwohnungen nämlich ist seit Ende der 1980er-Jahre von damals rund 4 Mio. – allein im Westen – auf heute bundesweit rund 1,1 Mio. gesunken. Derzeit haben in Deutschland rund 11 Mio. Mieterhaushalte theoretisch einen Anspruch auf eine Sozialwohnung, aber nur für jeden Zehnten davon gibt es tatsächlich eine. Es gibt in Deutschland also viel zu wenig Sozialwohnungen, es gibt aber auch insgesamt zu wenig Wohnungen. Die Studie geht von einem Defizit in einer Größenordnung von 700.000 Wohnungen aus (Stand: Ende 2022).
Appell an den Staat
„Bei den bezahlbaren Wohnungen wird das ohnehin schon massive Versorgungsloch immer größer; bei den Sozialwohnungen ist es längst ein Krater“, sagt Matthias Günther. Dieser „Krater“ wurde durch die wohnungsbaupolitischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte begünstigt. Auch die Ampel-Koalition blieb im ersten Jahr ihrer Regierungszeit weit hinter den selbst gesteckten Zielen zurück. Eigentlich hatte Olaf Scholz versprochen, dafür zu sorgen, dass jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, davon 100.000 Sozialwohnungen. Tatsächlich aber sind 2022 nur 20.000 Sozialwohnungen neu entstanden. Es fehlen also noch 380.000 Sozialwohnungen in den nun nur noch drei verbleibenden Jahren der aktuellen Legislaturperiode.
Zugegeben: Als die Ampel ihr Versprechen gab, war noch nicht abzusehen, dass sich die Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau in kurzer Zeit noch einmal so deutlich verschlechtern würden. Als wären hohe Bauland- und Baustoffpreise sowie der Mangel an Baufachkräften nicht schon genug, kamen 2022 noch die allgemeine Inflation inklusive steigender Bauzinsen und Energiekosten hinzu. Gerade die Steigerung der Energiepreise sorgt dafür, dass für Millionen Menschen das Wohnen noch einmal deutlich teurer geworden ist, während bezahlbare Mietangebote immer weniger verfügbar sind.
Die aktuelle Wohnungsnot birgt eine viel zu große soziale Sprengkraft, um sie mit Verweis auf die aktuell unattraktiven Investitionsbedingungen einfach zu ignorieren. Pestel-Institut und ARGE fordern daher in der Studie ein stärkeres finanzielles Engagement des Staats. „Der Staat muss – gerade jetzt in der Krise – bei der Schaffung von sozialem und bezahlbarem Wohnraum deutlich nachlegen“, sagt auch Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel. „Die Bundesregierung muss alles daransetzen, den Bau in der Krise am Laufen zu halten.“
Freifinanzierter Neubau unmöglich?

„Der Neubau einer Mietwohnung kostet in einer Großstadt heute im Schnitt nahezu 3.980 Euro pro Quadratmeter“, rechnet ARGE-Institutsleiter Prof. Dietmar Walberg vor. „Dazu kommen noch einmal umgelegte Kosten von gut 880 Euro für das Grundstück. Zusammen macht das fast 4.900 Euro für einen Quadratmeter Wohnfläche im Mietwohnungsbau. Damit haben wir uns deutlich aus dem Bereich geschossen, der den freifinanzierten Neubau überhaupt noch möglich macht.“
In der Studie heißt es wörtlich: „ Für das Jahr 2023 werden teils drastische Rückgänge im Wohnungsneubau erwartet. Einfamilienhausanbieter rechnen mit einem Einbruch um 30 bis 50 %. Aber auch im Mehrfamilienhausbau sind deutliche Rückgänge zu erwarten, da sich unter den neuen Rahmenbedingungen mit den gestiegenen Zinsen und Errichtungskosten Miet- und Kaufpreise ergeben, die am Markt kaum noch durchsetzbar sind “.
Mit Blick auf diese Kostenentwicklung müsse der Staat jetzt reagieren, fordert das Bündnis „Soziales Wohnen“. Pestel-Institutsleiter Matthias Günther rechnet vor: „Die notwendige staatliche Subvention für den Neubau einer durchschnittlichen Sozialwohnung von 60 m 2 liegt bei 126.000 Euro, wenn nach den aktuell geltenden Energiespar-Standards gebaut wird.“ Um sein Ziel von 100.000 neuen Sozialwohnungen zu erreichen, müsse der Staat diese also mit jährlich 12,6 Mrd. Euro fördern. Wenn beim Neubau maximaler Klimaschutz gefordert wird ( Effizienzhaus 40 ), seien sogar 14,9 Mrd. Euro pro Jahr erforderlich.
Das Ziel, das bis 2025 noch 380.000 neue Sozialwohnungen entstehen, ist aus Sicht die Studien-Autoren nicht völlig unrealistisch. Die Wissenschaftler schlagen dem Staat dazu die Bildung eines Sondervermögens über insgesamt 50 Milliarden Euro vor. Allerdings müsse der Bund – auf Grundlage seiner Finanzierungsvereinbarung mit den Ländern – den Großteil dieses Sondervermögens bereitstellen. Er müsse gut drei Viertel der Summe – nämlich mindestens 38,5 Mrd. Euro – aufbringen.
Dass es ohne massive staatliche Finanzspritzen schwierig wird, legt im Übrigen auch die Statistik der fertiggestellten Wohnungen der letzten zehn Jahre nahe. Der absolute Top-Wert waren die 306.376 Wohnungen aus dem Jahr 2020 – knapp 94.000 weniger als das angepeilte Ziel der Ampel-Koalition.
Forderungen des Verbändebündnis
Zusätzlich zum Sondervermögen fordert das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ eine Absenkung der Mehrwertsteuer für den sozialen Wohnungsbau von 19 auf 7 %. Ebenso sei eine deutlich raschere Bearbeitung von Förderanträgen notwendig. Das dies möglich ist, zeige das Bundesland Schleswig-Holstein, wo die Bearbeitung eines Förderantrags für den Bau von Sozialwohnungen in der Regel nicht länger als vier Wochen dauere.
Das Bündnis regt zudem an, ein „Switchen“ vom regulären Mietwohnungsbau zum sozialen Wohnungsbau möglich zu machen. Aus geplanten, aber noch nicht fertig gebauten Wohnhäusern sollen geförderte Sozialwohnungen entstehen. In der aktuellen Situation wünschen sich die Verbände ausdrücklich „Vorfahrt für den sozialen Wohnungsbau“ mit staatlicher Förderung. Das soll auch den Trend stoppen, dass Bauprojekte in der Krise aus finanziellen Gründen immer häufiger komplett auf Eis gelegt werden.