Sollte Photovoltaik auf vermieteten Mehrfamilienhäusern verpflichtend sein? Eine Studie des Fraunhofer ISE hat die ökonomischen Vorteile untersucht und kommt zu dem Ergebnis, dass sich ein „bundesweiter Solarstandard“ sowohl für Mieter als auch für Vermieter finanziell lohnen würde – egal ob das Modell Mieterstrom, Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung oder Energy Sharing genutzt wird.
Derzeit sind erst 16 % der Wohngebäude in Deutschland mit Photovoltaikanlagen (PV-Anlagen) ausgestattet, meistens handelt es sich um Häuser von Eigenheimbesitzern. Die vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (Fraunhofer ISE) Ende Juni veröffentliche 27-seitige Kurzstudie (Download hier) vertritt die Ansicht, dass sich Investitionen in lokal erzeugten Solarstrom auch bei Mietshäusern in jedem Fall lohnen würden.
Der vollständige Name der Studie lautet: „Kurzstudie: Einführung eines umfassenden bundesweiten Solarstandards – Wie vor allem Bewohner*innen und insbesondere Mietende durch PV-Anlagen auf Mehrfamilienhäusern profitieren können“. Die Untersuchung wurde gemeinsam von den Umweltorganisationen BUND, DUH, Germanwatch, NABU und WWF sowie dem Umweltdachverband DNR in Auftrag gegeben.
Amortisierung nach 15 Jahren
Nach Angaben des Deutschen Naturschutzrings (DNR) zeigt die Studie, dass Mietende, Vermietende und das Klima gleichermaßen von der Einführung eines bundesweiten Solarstandards für Dächer profitieren würden. Ein verbindlicher Solarstandard würde die Installation von PV-Anlagen zumindest bei Neubauten vorschreiben. Denkbar wäre aber auch eine Nachrüstpflicht für Bestandsgebäude.
Mietende profitieren von PV-Modulen auf den Dächern der Mietshäuser natürlich nur dann, wenn sie den vor Ort produzierten Solarstrom auch selbst nutzen können. Dafür gibt es aktuell drei mögliche Geschäftsmodelle: den so genannten Mieterstrom, die Gemeinschaftliche Gebäudeversorgung und das Modell Energy Sharing.
Laut Studie können sich die Investitionen bei allen drei Geschäftsmodellen innerhalb von 15 Jahren amortisieren. Von Anfang an ist die selbst erzeugte Energie stets günstiger, als wenn der Strom vom Energieversorger bezogen wird. Zugleich ist der Verkauf des Solarstroms an die eigenen Mieter für den Vermieter profitabler als eine Volleinspeisung ins Stromnetz.
Man kann natürlich darüber streiten, ob etwas gleich verpflichtend sein muss, nur weil es als profitabel gilt. Zweifellos allerdings würde eine PV-Pflicht für Mehrfamilienhäuser das Tempo des Ausbaus von Solarenergie hierzulande massiv beschleunigen.
Mit dem Instrument des Solarstandard würde Deutschland zudem keinesfalls komplettes Neuland betreten. Die Studie weist darauf hin, dass es in den Bundesländern Baden-Württemberg, Berlin und Hamburg bereits heute einen Solarstandard für den Neubau und grundlegende Dachsanierungen von Wohngebäuden gibt. Auch in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bremen sind ähnliche Regeln für die kommenden Jahre schon geplant.
Hinzu kommt, dass auch die EU im März 2024 bereits Regeln zur Solarpflicht verabschiedet hat. Der EU-Solarstandard gilt ab 2026 für neue gewerbliche und öffentliche Gebäude, ab 2027 für zu renovierende Nichtwohngebäude, ab 2029 für neue Wohngebäude und ab 2030 für schon bestehende öffentliche Gebäude. Seine Regeln sind auch für Deutschland verpflichtend. Die Autoren der Kurzstudie halten daraus hinaus aber auch eine PV-Pflicht für bestehende Mietshäuser für sinnvoll.
Drei Geschäftsmodelle
Schon seit 2017 fördert die Bundesregierung das so genannte Mieterstrom-Modell für Wohngebäude. Bei dieser Variante schließen die Mieter einen vollständigen Stromliefervertrag mit dem Betreiber einer Mieterstromanlage ab. Diese Anlage kann sich auf dem Mietshaus der Vertragskunden befinden oder auch woanders installiert sein. Der Betreiber der Mieterstromanlage kann, muss jedoch nicht zugleich auch der Vermieter der Stromkunden sein.

In jedem Fall hat der Betreiber einer Mieterstrom-Anlage die Pflicht zur „Reststromlieferung“. Liefern seine PV-Module mal nicht ausreichend Solarstrom, um den Bedarf der Mieterkunden zu decken, muss er den zusätzlich benötigten Strom aus dem Netz dazukaufen. Die Mieter haben nämlich keine separaten Netzstromlieferverträge. Als Ausgleich für die administrativen Mehrkosten durch die Pflicht zur Reststromlieferung erhält der Betreiber einen Mieterstromzuschlag, der ihm vom jeweiligen Netzbetreiber ausgezahlt wird.
Mit dem Mitte Mai in Kraft getretenen „Solarpaket I“ der Bundesregierung wurde das neue Modell der „Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung“ eingeführt. Diese Variante erlaubt es Vermietern, ihren Mietern Solarstrom mit weniger bürokratischem Aufwand zur Verfügung zu stellen als beim Mieterstrommodell. Dabei sind sie von der Pflicht zur Reststromlieferung befreit. Zugleich können auch Mietende selbst Eigentümer der PV-Anlage auf dem Dach ihres Mietshauses werden und somit doppelt zu profitieren.
Wichtig: Das Modell der Gemeinschaftlichen Gebäudeversorgung wurde von der Bundesregierung ausdrücklich beschränkt auf Solaranlagen, die sich direkt am Gebäude der Stromkunden oder an einer Nebenanlage des Gebäudes befinden. Mieter, die den Solarstrom nutzen wollen, schließen zwar mit dem Anlagenbetreiber einen Gebäudestromliefervertrag ab, behalten aber auch einen eigenen Netzstromliefervertrag. Über diesen herkömmlichen Vertrag ist die Lieferung des Reststroms gesichert, den die Gebäude-PV nicht decken kann.
Auch das bisher noch nicht umgesetzte Energy Sharing könnte künftig ein interessantes Modell sein, um Mietern einen direkten Zugriff auf den Solarstrom von PV-Modulen zu ermöglichen. Bei dieser Variante geht es aber nicht um die Nutzung von Solarstrom auf dem eigenen Mietshaus, sondern um die geneinsame Nutzung des auf weiter entfernt liegender Dachflächen erzeugten Solarstroms. Welche unterschiedlichen Umsetzungsmodelle hier grundsätzlich möglich sind, beschreibt die Deutsche Energie-Agentur (dena) in ihrer neuen Broschüre „Energy Sharing in Deutschland“.
Forderung an die Politik
Die wirtschaftliche Analyse der Kurzstudie basiert auf einem fiktiven Mehrfamilienhaus mit zehn Parteien und geht zudem von einem PV-Stromverkaufspreis aus, der bei 20 bis 30 ct/kWh liegt. Unter diesen Bedingungen ergab die Analyse, dass sich PV-Anlagen auf dem Mietshaus sowohl für den Eigentümer der Anlage als auch für die Mieter bei allen drei Geschäftsmodellen lohnen würde. Die Investition könne sich in allen Fällen innerhalb von 15 Jahren amortisieren.
Aus den Ergebnissen der von ihnen beauftragten Kurzstudie leiten die oben genannten Umweltorganisationen folgende Forderung ab: „Die Bundesregierung muss endlich den Weg für Solarenergie auf Dächern von Wohnhäusern, Büro- und Gewerbegebäuden und Gebäuden der öffentlichen Hand, Fassaden und weiteren versiegelten Flächen wie Parkplätzen freimachen. Dafür muss sie einen bundesweit einheitlichen Solarstandard einführen. Nicht nur bei Neubau, sondern auch bei Umbau und Sanierung“.
So steht es in einer Pressemitteilung des Dachverbands DNR. Dieser begrüßt einen bundesweiten Solarstandard, weil dieser auch in städtischen Ballungsgebieten höhere Zubauraten bei der gebäudeintegrierten Photovoltaik bewirken würde. Laut DNR findet ein Großteil des Ausbaus der erneuerbaren Energien aktuell im ländlichen Raum statt, während der urbane Raum hier bisher nur eine untergeordnete Rolle spiele.
Dies sei eine fatale Entwicklung angesichts der enormen Potenziale von großen Dachflächen auf Mehrfamilienhäusern. Der DNR fordert daher die Einführung eines bundesweiten Solarstandards für Dächer noch in dieser Legislaturperiode.