In Deutschland sackt die Zahl der Sozialwohnungen schon seit Mitte der 1990er-Jahre kontinuierlich ab. Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ hat deshalb letzte Woche vor einem „chronischen Burnout“ auf dem sozialen Wohnungsmarkt gewarnt. Deutschland baue nicht nur zu wenige, sondern auch viel zu teure Sozialwohnungen.
Aktuell liegt die bundesweite Anzahl an Sozialwohnungen nur noch knapp oberhalb der 1-Millionen-Grenze. Dabei hatte die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag vom Dezember 2021 eigentlich versprochen, in jedem ihrer Regierungsjahre 100.000 neue Sozialwohnungen zu fördern. „Damit ist sie krachend gescheitert“, sagt Matthias Günther, Chef-Ökonom des Pestel-Instituts (Hannover).
Das Institut hat zusammen mit dem Bauforschungsinstitut ARGE (Kiel) des Landes Schleswig-Holstein die Studie „Das Bauen und Wohnen in Deutschland sozial neu justieren“ erstellt, die am Mittwoch letzter Woche auf einer Pressekonferenz in Berlin vorgestellt wurde. Die Studie entstand im Auftrag des Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ – eine gemeinsame Initiative des Deutschen Mieterbundes, der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP), der Bau-Gewerkschaft IG BAU, der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau sowie des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel.
Förderung weit unterm Bedarf
Nach Angaben des Pestel-Instituts hat die Ampel-Regierung in ihrem letzten vollen Regierungsjahr (2023) lediglich rund 23.000 Sozialwohnungen gefördert – und damit weniger als im Durchschnitt der letzten Jahre. Viel zu wenig. Um den tatsächlichen Bedarf zumindest halbwegs zu decken, müssten bis 2030 mindestens 210.000 Sozialwohnungen pro Jahr neu geschaffen werden. Vor allem per Neubau – aber auch durch den Ankauf und die Verlängerung von Belegungsrechten. „Würde der Staat die Menschen, die einen Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, tatsächlich versorgen, dann wären bundesweit sogar rund 5,6 Mio. Sozialwohnungen notwendig“, ergänzt Matthias Günther.
Von der neuen Bundesregierung fordert das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ daher, den Förderhebel für Sozialwohnungen rasch umzulegen. „Für den Neubau von 100.000 Sozialwohnungen müssen Bund und Länder 11 Milliarden Euro in die Förderung investieren“, konkretisiert Pestel-Chef Günther.
Einfach mehr bauen
Im Rahmen der Pressekonferenz ging es auch um ein Paradox: Der Bund habe zuletzt zwar wieder mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau investiert, damit aber trotzdem weniger erreicht. „Der Grund dafür liegt auf der Hand: Deutschland baut Premium-Sozialwohnungen“, erläutert Prof. Dietmar Walberg von der ARGE Kiel. „Es geht in guter Qualität auch deutlich günstiger“, so Walberg. Nämlich mit dem „Gebäudetyp E“ (E wie einfach oder experimentell), nach dem in Schleswig-Holstein bereits gebaut werde.
Der ARGE-Chef hat mit seinem Team bereits einige Gebäudetyp-E-Bauprojekte begleitet und analysiert. Das Ergebnis sei verblüffend und könne eine Trendwende für die Förderpraxis auslösen. Dietmar Walberg: „Die reinen Baukosten bei Sozialwohnungen lassen sich um bis zu einem Drittel senken. Unterm Strich würde die bisherige vom Staat gezahlte Fördersumme von gut 3.200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche sogar ausreichen, um damit den Bau von Sozialwohnungen komplett zu finanzieren. Alles, was Sozialwohnungen darüber hinaus kosten, geht in Nice-to-have-Extras“.
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Dazu zählen nach ARGE-Angaben zum Beispiel zu hohe Wand- und Deckenstärken, dreifach verglaste Fenster, überzogener Klima- und Lärmschutz, Kellerräume und auch Tiefgaragenplätze. Nach Berechnungen der ARGE sei es unter Einhaltung aller geltenden Bauvorschriften möglich, eine Sozialwohnung für rund 2.920 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche zu bauen. Für diese reinen Baukosten wären dann nur 1.840 Euro pro Quadratmeter an Fördergeld nötig. Dazu kämen noch die Grundstückskosten.