
In den fertigen Platten kann man das Pflanzenmaterial noch gut erkennen.
Foto: Fraunhofer IBP
Neuer Naturbaustoff: Platten aus Rohrkolben
Ein neuartiger Naturbaustoff aus der Sumpfpflanze Rohrkolben könnte in Zukunft das Sortiment des Baustoffhandels erweitern. Der Architekt und Erfinder Werner Theuerkorn hat die magnesitgebundenen Platten in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP entwickelt. Sie vereinen so unterschiedliche Eigenschaften wie gute Wärmedämmung und hohe statische Belastbarkeit in einem Material.
Nach Angaben des Fraunhofer-Instituts ist der Plattenwerkstoff nicht nur gut dämmend und statisch belastbar, sondern auch schimmelresistent und energiearm in der Herstellung. Das Produkt sei zudem nachhaltig, da es nur aus den Blättern des schnell nachwachsenden Rohstoffs Rohrkolben (lat. Typha) und dem mineralischen Kleber Magnesit hergestellt wird. Haben die Platten irgendwann mal ausgedient, können sie problemlos kompostiert werden, fließen also wieder in den Stoffkreislauf der Natur zurück. Insofern ist das Material ein gutes Beispiel für eine Produktentwicklung nach dem Cradle-to-Cradle-Konzept.
Überzeugende Eigenschaften
Die Typha-Platte biete zudem einen „guten Brand-, Schall- und sommerlichen Wärmeschutz“ und sei „relativ diffusionsoffen und kapillaraktiv“ – so das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. Hervorgehoben wird zudem insbesondere die erstaunliche Kombination aus guter Dämm- und Tragwirkung. Das erklären die Forscher mit der speziellen Struktur der unempfindlichen Sumpfpflanze Rohrkolben. Typha-Blätter bestehen einerseits aus einem stabilen, faserverstärkten Stützgewebe, dessen Zwischenräume aber andererseits mit einem weichen, offenzelligen Schwammgewebe ausgefüllt sind. Diese Eigenschaften sind es, die auch Statik und Dämmvermögen der Platten aus Typha positiv beeinflussen.
Erste Referenzanwendungen
Auch in Sachen Verarbeitbarkeit schneidet das Material gut ab. Die Platten lassen sich mit den üblichen Werkzeugen für Dämmstoffe einfach zuschneiden.
Wie der neue Baustoff in der Praxis wirkt, davon kann man sich in Mailand bereits heute überzeugen. Im Rahmen der dortigen EXPO 2015 wurde nämlich im Garten des uralten Bauernhauses Cascina Cuccagna das so genannte Typhahouse errichtet. Die Wände, Decken und Böden dieses kleinen Gartenpavillons bestehen größtenteils aus den weitgehend selbsttragenden Rohrkolben-Platten.
Im Inneren des Expo-Pavillons hat man die so gestalteten Wände übrigens mit einem dekorativen Lehmputz beschichtet. Dieser wurde mit den Samenschirmchen des Rohrkolbens vermischt, die so als natürliche Putzarmierung wirken. Noch nachhaltiger kann man die Bildung von Putzrissen wirklich nicht vermeiden. Da Lehmbaustoffe wasserlöslich sind, kam für die Außenhaut des Gebäudes eine Kalkschlämme als Verputz zum Einsatz.
Einsatzgebiet Fachwerksanierung

Bei einzelnen Fachwerksanierungen wurde der Naturbaustoff bereits eingesetzt.
Foto: Typha Technik Naturbaustoffe
Man muss allerdings gar nicht bis nach Italien fahren, um Anwendungsbeispiele für die Typha-Platten zu finden. Auch in Deutschland gibt es erste Modellprojekte – vor allem im Bereich der Fachwerksanierung. In Nürnberg wurden bei einem Gebäude die Wandausfachungen zwischen den Holzbalken komplett mit dem neuen Naturbaustoff gefüllt. Als Außenbeschichtung kam hier ein diffusionsoffener Putz aus Kalktuffsand und Kalk zum Einsatz, der in drei Lagen direkt auf das Plattenmaterial aufgebracht wurde.
Produktion in Schönau
Die Platten für solche Modellprojekte werden derzeit vom Unternehmen Typha Technik Naturbaustoffe hergestellt. Das ist die Firma des Erfinders Werner Theuerkorn. Sie produziert im niederbayerischen Schönau Platten im Format von 2,5 m x 1 m, die in Stärken von zwei bis zwölf Zentimetern und in verschiedenen Rohdichten lieferbar sind. Die Platten mit der geringsten Rohdichte (220 kg/m³) verfügen über eine Wärmeleitfähigkeit von 0,048 W/mK. In Schönau werden aber nur projektbezogene Kleinserien hergestellt. Eine Großproduktion findet noch nicht statt. Dafür sucht man noch Partner aus der Baustoffindustrie.
Rohstoffanbau
Ein noch zu lösendes Problem ist die Rohstoffversorgung. „Rohrkolben wächst in großen Beständen vor allem in Osteuropa, vornehmlich in Rumänien und Ungarn“, erläutert Ingenieur Dr. Martin Krus vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP. „Hierzulande wird die Feuchtgebietspflanze nicht kultiviert, sie müsste also extra importiert werden.“
Auch ein Anbau in Deutschland wäre aber möglich, das hat die Studie „Rohrkolbenanbau in Niedermooren“ (1998 bis 2001) gezeigt, die vom Lehrstuhl für Landschaftsökologie der TU München durchgeführt wurde. Dafür müsste man hierzulande trockengelegte Niedermoore regenerieren.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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