RM Rudolf Müller
Für das Berliner Stadtschloss wurden 115 Sonden in knapp 100 m Tiefe eingebaut.  Foto: Bundesverband Geothermie e.V.

Für das Berliner Stadtschloss wurden 115 Sonden in knapp 100 m Tiefe eingebaut.  Foto: Bundesverband Geothermie e.V.

Energetisches Bauen
13. September 2022 | Artikel teilen Artikel teilen

Erdwärme: Perspektiven und Hemmnisse

Erdwärmepumpen stellen die vorteilhafteste Option dar, um die nationalen Klimaziele bis zum Jahr 2045 zu erreichen. Mit der im Erdboden gespeicherten Sonnenenergie ließe sich der Gebäudewärmebedarf in Deutschland perspektivisch bis zu 75 % decken. Das sind zwei zentrale Thesen, die die Fraunhofer IEG in der „Roadmap Oberflächennahe Geothermie“ vertritt.

In der im Juni erschienenen „Roadmap Oberflächennahe Geothermie“ fassen vier Autoren der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie (Fraunhofer IEG) die aktuelle Situation sowie mögliche Perspektiven zum Thema Erdwärmepumpen in Deutschland zusammen. Sie beleuchten die technischen Vorteile und benennen die Hemmnisse, die einem flächendeckenden Einsatz bisher im Wege stehen. Die Roadmap wurde im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Geothermie (BVG), dem Bundesverband Wärmepumpe (BWP) und der Erdwärme Gemeinschaft Bayern erstellt.

Leistungsfähige Technik

Oberflächennahe Geothermie spielt sich im Bereich bis 400 m Tiefe ab. Grafik: Roadmap

Oberflächennahe Geothermie spielt sich im Bereich bis 400 m Tiefe ab. Grafik: Roadmap

Laut Fraunhofer IEG werden hierzulande im Gebäudebereich jährlich 780 bis 800 Terawattstunden Energie für Raumwärme und Warmwasser benötigt (kumulierter Nutzwärmebedarf). Bei einem entsprechenden Ausbau würden Erdwärmepumpen das Potenzial bieten, bis zu 75 % dieses Wärmebedarfes zu decken – also etwa 600 TWh/a. Aktuell sind in Deutschland allerdings nur rund 435.000 Erdwärmepumpen installiert, die zusammen rund zehn Terawattstunden Wärme pro Jahr bereitstellen.

Um die angestrebten nationalen Klimaziele mithilfe von Wärmepumpen zu erreichen, wären bis 2030 allerdings 6 Mio. und bis 2045 sogar 12 Mio. dieser Anlagen notwendig. Hintergrund: Die Bundesregierung hat sich im verschärften Klimaschutzgesetz vom Mai 2021 verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Auch der Gebäudebereich soll dann keine schädlichen Treibhausgase mehr ausstoßen, Strom- und Wärmeversorgung müssten komplett aus regenerierbaren Energiequellen erfolgen.

„Erdwärmepumpen sind heute bei vielen Herstellern am Markt verfügbar“, sagt Rolf Bracke, Leiter der Fraunhofer IEG und einer der Roadmap-Autoren. „Die Systeme arbeiten äußerst effizient, decken ein breites Leistungsspektrum ab und bieten erprobte Lösungen für die klimafreundliche Bereitstellung von Wärme und Kälte.“ Nach seiner Ansicht ist die Technik also bereits ausgereift.

Trotzdem decken regenerative Wärmequellen hierzulande bisher weniger als ein Fünftel des Wärmebedarfs ab. Hemmnisse für einen größeren Markterfolg von Erdwärmepumpen sieht Bracke weniger im technischen Bereich als vielmehr bei Förderrichtlinien, Genehmigungsverfahren, mangelnder Investitionsbereitschaft und beim Fachkräftemangel.

Effizienter als Außenluftsysteme

Aktuell boomt vor allem der Absatz der weniger effizienten Außenluftsysteme. Grafik: Bundesverband Wärmepumpe

Aktuell boomt vor allem der Absatz der weniger effizienten Außenluftsysteme. Grafik: Bundesverband Wärmepumpe

Wärmepumpen zapfen die Sonnenenergie an, die in der Erde, im Grundwasser oder in der Außenluft als Umweltwärme gespeichert ist und nutzen sie für die Gebäudeheizung oder die Warmwasserbereitung. Im Sommer lässt sich die heimische Wärmequelle zudem auch effektiv für die passive Gebäudekühlung einsetzen.

Laut Statistik des Bundesverbands Wärmepumpe sind in Deutschland Anlagen, die mit der Wärme der Außenluft arbeiten (Luft-Wasser-Systeme) am weitesten verbreitet. 2021 kam diese Variante auf einen Marktanteil von 82 %. Die in der Installation deutlich teureren Erdwärmepumpen kamen dagegen nur auf einen Marktanteil von 18 %.

Gleichwohl halten die Autoren der Roadmap oberflächennahe Erdwärmepumpen für die vorteilhafteste Option, um Gebäude nachhaltig, zukunftssicher und unabhängig von Rohstoffimporten zu heizen und zu kühlen. Oberflächennah meint hier weniger die horizontal in etwa 1,5 m Tiefe verlegten Erdwärmekollektoren, sondern vor allem vertikale Erdwärmesonden bis zu einer Tiefe von 400 m. Unter den erdgekoppelten Systemen sind solche Erdwärmesonden bereits klarer Marktführer. Das liegt zum einen daran, dass sich in größerer Tiefe mehr Wärme gewinnen lässt und zum anderen daran, dass horizontale Kollektorsysteme deutlich mehr Platz an der Grundstücksfläche beanspruchen und zudem nicht überbaubar sind.

Im Vergleich zu den besonders in den letzten Jahren immer beliebteren Luft-Wärmepumpen, bei denen die Umgebungswärme mit Ventilatoren angesaugt wird, erfordern Erdwärmepumpen mit vertikal verlegten Sonden zwar zunächst deutlich höhere Investitionen, aufgrund der notwendigen Bohrungen, doch dafür arbeiten sie später viel effizienter und verbrauchen für dieselbe thermische Leistung deutlich weniger Strom. Vor allem im Winter, also während der eigentlichen Heizperiode, sind die Außenluft-Systeme weniger effizient als Erdwärmepumpen.

Die Autoren der Roadmap gehen davon aus, dass die Wärmeversorgung eines Einfamilienhauses in der Regel mithilfe von ein bis zwei dezentralen Erdwärmesonden möglich ist. In urbanen Ballungsräumen seien die örtlichen Gegebenheiten dafür allerdings nicht geschaffen. Hier empfiehlt die Fraunhofer IEG zentrale Lösungen mit bis zu mehreren hundert Erdwärmesonden, die dann größere Infrastrukturen netzgebunden versorgen.

Handlungsempfehlungen

Die Roadmap beschreibt Ist-Situation und Perspektiven bei Erdwärmepumpen.

Die Roadmap beschreibt Ist-Situation und Perspektiven bei Erdwärmepumpen.

Ausgehend von ihrer Bestandsaufnahme des deutschen Erdwärmepumpenmarktes haben die Roadmap-Autoren Handlungsempfehlungen entwickelt, deren Umsetzung ermöglichen soll, dass Deutschland mithilfe oberflächennaher Erdwärmepumpen seine Klimaziele für das Jahr 2045 erreicht.

Verbesserungsbedarf sieht die Fraunhofer IEG etwa bei den Genehmigungsverfahren. Diese müssten aus Sicht der Fraunhofer-Forscher bundesweit entlang transparenter Kriterien vereinheitlicht werden. Erdwärmebohrungen bis 400 m Tiefe sollten nach Ansicht der Autoren generell von der Verpflichtung zur bergrechtlichen Bewilligung befreit werden. Bei Anlagen bis zu 30 Kilowatt Heizleistung sollte die Genehmigungspflicht zudem durch eine Anzeigepflicht ersetzt werden. Die zuständigen Behörden müssten außerdem durch Personalaufstockung und Weiterbildungsangebote auf die Zunahme an Genehmigungsanträgen für Erdwärmepumpen vorbereitet werden.

Die Roadmap fordert auch den Abbau von Restriktionen. Insbesondere der „vorgeschobene Widerspruch von Gewässerschutz und Geothermie“ entspräche nicht dem Stand der Technik. Die gesellschaftliche Akzeptanz von Erdwärmepumpen sei durch gezielte Informationskampagnen zu verstärken. Immobilieneigentümern müsse etwa verdeutlicht werden, dass den anfänglich höheren Investitionskosten der Technik langjährig geringe Betriebskosten gegenüberstünden. Die Bundesländer müssten vorhandene geologische Daten des Untergrundes bis 200 m Tiefe kurzfristig und diejenigen bis 400 m mittelfristig allgemein digital zugänglich machen.

Dem Staat empfiehlt die Roadmap, den Neueinbau von Öl- und Gasheizungen so schnell wie möglich zu untersagen sowie attraktive Anreizprogramme für den Austausch fossiler Bestandsanlagen zu entwickeln. Zugleich solle der Gesetzgeber elektrische Energie für Wärmepumpen von Steuern und Abgaben entlasten. In der Ausbildung von Sanitär-, Heizungs- und Klima-Handwerkern müsse zudem die Wärmewende inhaltlich stärker in den Fokus genommen werden. Im Bohrhandwerk fehlten kurzfristig 2.500 Bohrgeräte und über 6.000 Fachkräfte.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

BW+
 

Wärmepumpen und Fassadendämmung

Beim digitalen „Wärmepumpengipfel“ der Bunderegierung wurde Ende Juni die Umweltwärme-Technologie in den Mittelpunkt aller Aktivitäten für mehr Energieeinsparung und Klimaschutz...

mehr »
 

Wärmepumpen in Bestandsgebäuden?

Bei Neubauten entscheiden sich in Deutschland mittlerweile fast die Hälfte aller Gebäudeeigentümer für eine Wärmepumpe. Doch sind die Anlagen auch...

mehr »
 

Elektrokalorische Wärmepumpen

Hoch effektive Wärmepumpen ganz ohne klimaschädliche Treibhausgase: Ist so etwas möglich? Offenbar ja. Zumindest arbeiten mehrere Fraunhofer-Institute aktuell an so...

mehr »
Nach oben
nach oben