
Der tatsächliche Wohnungsneubau liegt seit Jahren unter dem Bedarf. Foto: Pixabay
Schwache Wohnraumoffensive
Im Koalitionsvertag für die laufende Legislaturperiode hat die Bundesregierung das Ziel formuliert, dass in Deutschland „1,5 Millionen Wohnungen und Eigenheime frei finanziert und öffentlich gefördert gebaut werden“. Knapp ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl halten viele in der Bau- und Immobilienbranche dieses Neubau-Ziel nicht mehr für erreichbar. Das Bundesbauministerium rechne zudem die tatsächlichen Wohnungsbau-Zahlen schön – lautet ein Vorwurf aus der Branche.
„Das Vorhaben der Großen Koalition, 1,5 Millionen Wohnungen bis 2021 neu zu schaffen, ist schon jetzt zum Scheitern verurteilt“, sagt zum Beispiel Dr. Ronald Rast, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau e.V. (DGfM) und zugleich Koordinator der Aktion Impulse für den Wohnungsbau. In dem Bündnis haben sich mehr als 30 Organisationen und Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft zusammengeschlossen, darunter der Deutsche Mieterbund, die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) und der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB).
Politische Mogelpackung?

Dr. Ronald Rast wirft dem Bauministerium eine politische Mogelpackung vor. Foto: DGfM
Anstatt ihr Scheitern bei der Wohnraumoffensive einzugestehen und die Ursachen dafür zu beseitigen, rechne das Bundesbauministerium die Zahlen schön – beklagt Rast und erläutert dies so: „Es zählt die tatsächlich gebauten Wohnungen und den Bauüberhang – also die Baugenehmigungen – zusammen. Das stößt in der Branche übel auf“. Anlass für die deutliche Kritik war eine im Juli veröffentlichte Antwort, die das von Horst Seehofer geführte Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) auf eine Kleine Anfrage der Grünen zum „Stand der Umsetzung des Neubauziels im Wohnungsbau“ gegeben hat.
„Wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort an die Grünen von ‚fertiggestellten beziehungsweise angestoßenen‘ Wohnungen spricht, dann muss man ihr eine Wahrheit entgegenhalten: In genehmigten, aber nicht gebauten Wohnungen kann keiner wohnen“, ätzt Rast und fügt unmissverständlich hinzu: „Die GroKo wird ihre selbst gesetzte 1,5-Millionen-Zielmarke verfehlen. Und das Bundesbauministerium rechnet sich dies schön. Das ist nichts anderes als eine politische Mogelpackung.“
Hoher Bauüberhang
In Deutschland werden schon seit Jahren erheblich mehr Wohnungen genehmigt als gebaut. Dr. Ronald Rast: „Das hat dazu geführt, dass wir aktuell einen Bauüberhang von 740.000 Wohnungen haben – den Höchststand seit mehr als 20 Jahren. Es würde mit den vorhandenen Kapazitäten zweieinhalb Jahre dauern, um allein diesen Berg abzubauen“.
Der Bauüberhang – also die Anzahl der genehmigten, aber noch nicht als fertiggestellt gemeldeten Baumaßnahmen in Wohngebäuden – ist hierzulande tatsächlich hoch. Es ist nicht so, dass dies in der Antwort des BMI verschwiegen würde. Man findet dort eine statistische Tabelle, der zu entnehmen ist, dass 2019 in Deutschland insgesamt 293.002 neue Wohnungen fertiggestellt wurden, die Anzahl der Bauüberhänge im selben Jahr aber 740.367 betrug – also deutlich höher lag. Das BMI veröffentlicht diese Statistik, thematisiert aber mit keinem Wort das dahinterstehende Problem.
Streit um Rahmenbedingungen
Dr. Ronald Rast macht die Bundesregierung für schlechte Rahmenbedingungen verantwortlich, die den notwendigen Aufbau weiterer Kapazitäten in der Bauwirtschaft bislang verhindert hätten. Die Akteure der Aktion Impulse für den Wohnungsbau mahnen bereits seit vielen Jahren bessere Konditionen für den Wohnungsbau an. „Nur so kann es gelingen, Investitionen anzuschieben, die die Bauwirtschaft dringend braucht, um aus Wohnungen auf dem Papier tatsächlich gebaute Wohnungen in den Städten werden zu lassen – um die Überhänge also abzubauen“, sagt Rast. „Kommen die nicht, passiert auch nichts.“
Verärgert zeigt sich Rast darüber, dass das Bundesbauministerium in seiner Antwort an die Grünen von „guten und verlässlichen Rahmenbedingungen“ für den Wohnungsbau spricht. „Genau an fehlenden, langfristig verlässlichen Rahmenbedingungen liegt es, dass die Baubranche ihre Kapazitäten nicht wieder so hochgefahren hat, wie es erforderlich gewesen wäre“, kontert Rast.
Das Bauministerium begründet die Aussage über die guten und verlässlichen Rahmenbedingungen übrigens damit, dass sich die Anzahl der fertig gestellten Wohnungen im Jahr 2019 im Vergleich zu 2018 um 2 % auf rund 293.000 erhöht habe. Im Vergleich zum Jahr 2009 gäbe es sogar eine Steigerung von rund 84 % – heißt es in der Antwort an die Grünen.
Mangelware Sozialwohnungen

IG-Bau-Chef Robert Feiger fordert eine Sozialbau-Offensive. Foto: IG Bau (Alexander Paul Englert)
Die Bau- und Immobilienwirtschaft ist weniger optimistisch gestimmt. Sie wartet seit Jahren auf eine Wohnungsbaupolitik, die der Branche langfristig Planungssicherheit gibt. „Dazu gehören vor allem klare, mittel- bis langfristige Zusagen für die Förderung des sozialen und bezahlbaren Wohnungsbaus“, erläutert der Koordinator der Aktion Impulse für den Wohnungsbau.
Dass es in Deutschland derzeit zu wenige Wohnungen mit niedrigem Miet-Niveau gibt, bestätigt die Studie „Bedarf an Sozialwohnungen in Deutschland“, die das Pestel-Institut (Hannover) diesen August im Auftrag der IG Bau veröffentlicht hat. Der Studie zufolge werden hierzulande eigentlich mehr als 8,5 Millionen Sozialwohnungen benötigt – tatsächlich seien es derzeit aber weniger als 1,2 Millionen.
„Die Zahlen vom Pestel-Institut spiegeln eine dramatische Entwicklung wider“, sagt Robert Feiger, Bundesvorsitzender der IG Bau. „In den vergangenen zehn Jahren hat die Anzahl der Menschen, die auf eine Wohnung mit niedriger, bezahlbarer Miete unbedingt angewiesen sind, drastisch zugenommen – um 1,28 Millionen Personen. Das ist ein Zuwachs von 10,7 %. Und das bei einer außerordentlich positiven Beschäftigungsentwicklung, die es bis zu Beginn der Corona-Pandemie gab. Das passt nicht zusammen.“ Der IG-Bau-Chef fordert deshalb eine „Sozialbau-Offensive“.
Positionspapier der Branche
In diesem Punkt berühren sich also die Interessen von Baugewerkschaft sowie Bau- und Immobilienwirtschaft. Letztere fordert natürlich nicht nur mehr Sozialwohnungsbau, sondern will insgesamt bessere Rahmenbedingungen und Wertschöpfungsperspektiven für Wohnbauinvestoren. So kämpft die Aktion Impulse für den Wohnungsbau schon seit Jahren auch für dauerhaft verbesserte steuerliche Abschreibungsbedingungen. Koordinator Dr. Ronald Rast forderte jüngst per Pressemitteilung erneut eine dauerhafte Erhöhung der linearen AfA von 2 auf 3 % – so, wie es dem tatsächlichen Werteverzehr von heutigen Wohnungsbauten entspräche.
Alle Maßnahmen, die aus Sicht der Bau- und Immobilienwirtschaft notwendig wären, um die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigte Wohnraumoffensive tatsächlich Wirklichkeit werden zu lassen, hat das Verbändebündnis Ende Mai in einem aktuellen Positionspapier zusammengefasst, das auch als „Masterplan für den Post-Corona-Wohnungsbau“ bezeichnet wird und Maßnahmen in fünf Bereichen fordert.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
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