RM Rudolf Müller
Mikrohaus aus Estland: Dieser 25,8 Quadratmeter große Modulbau wurde vom Architekturbüro Kodasema entworfen. Foto: Kodasema

Mikrohaus aus Estland: Dieser 25,8 Quadratmeter große Modulbau wurde vom Architekturbüro Kodasema entworfen. Foto: Kodasema

Energetisches Bauen
10. April 2018 | Artikel teilen Artikel teilen

Mikrohäuser: Ein neuer Wohntrend?

In den USA und Asien sind sie schon weit verbreitet, in Europa dagegen bisher noch Nischenprodukte: Die Rede ist von so genannten Mikro- oder Minihäusern mit sehr kleinen Grundrissen. Doch vieles deutet darauf hin, dass die Nachfrage in Zukunft auch bei uns steigen könnte. Für einen Trend zum Mikrohaus sprechen nicht nur die aktuelle Wohnraumknappheit, sondern auch moderne Lebensstile, bei denen Mobilität, Nachhaltigkeit und die Reduktion auf das Wesentliche eine große Rolle spielen.

Mikrohäuser sind kleine Häuser – so viel ist klar. Was genau unter dem Begriff zu verstehen ist, dafür gibt es aber bisher keine allgemeingültige, offizielle Definition. Die Hausanbieter in der Branche sprechen nicht einmal einheitlich vom Mikrohaus. Im deutschsprachigen Raum wird das Produkt etwa auch als Mini-, Klein-, Modul- oder Singlehaus vermarktet.

In den USA, wo der Trend zu den kleinen Häusern schon in den 1990er-Jahren als Gegenbewegung zur „Bigger is better“-Philosophie entstand, ist die Begrifflichkeit bereits ausdifferenzierter. Die Amerikaner unterscheiden „Small Houses“ (Kleine Häuser) sowie „Tiny Houses“ (Winzige Häuser), und sie verbinden damit eine Größenabstufung.

Keine einheitliche Definition

Für den Begriff „Tiny House“ gibt es seit 2017 sogar eine Definition im Baugesetz der USA. Er bezeichnet dort Wohnstätten mit einer Grundfläche von bis zu 400 Quadratfuß – das sind umgerechnet 37 m2. So eine offizielle Definition gibt es für den Begriff „Small House“ noch nicht. Er steht aber normalerweise für Gebäude, die größer als Tiny Houses und zugleich kleiner als herkömmliche Einfamilienhäuser sind.

Auch in Deutschland wird der Begriff Tiny Houses mitunter verwendet. Man bezeichnet damit aber eher Häuser auf Rädern: traditionelle Bau- und Zirkuswagen, aber auch moderne mobile Wohnstätten, die so klein sind, das man sie per Anhänger über Straßen transportieren kann. Nach der deutschen Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) dürfen Fahrzeug-Anhänger nicht breiter als 2,55 m und nicht höher als 4 m sein. Das vermittelt einen Eindruck davon, wie groß solche mobilen Tiny Houses hierzulande maximal sein dürfen.

Spricht man in Deutschland von einem Mikro-, Mini- oder Singlehaus, umfasst dieser Begriff zwar auch die genannten Kleinsthäuser auf Rädern, er steht darüber hinaus aber vor allem für stationäre Gebäude bis zu etwa 100 m2. In diesem Beitrag verwenden wir im Folgenden nur noch den Ausdruck Mikrohaus, weil er das ganze Größenspektrum der Kleinhäuser umfasst.

Der Begriff wird auch vom Marktforschungsunternehmen Catella Research benutzt, das 2016 erstmals konkrete Zahlen zu Mikrohäusern in Europa veröffentlichte. Damals hatten 13 % aller europäischen Mikrohäuser eine Wohnfläche von weniger als 25 m2, bei 58 % waren es 25 bis 60 m2, und bei 29 % der von Catella Research erfassten Häuser lag die Wohnfläche über 60 m2.

Die Mikrohaus-Idee

Transport eines mobilen Gebäudes des österreichischen Anbieters Mikrohaus.com. Foto: Hersteller

Transport eines mobilen Gebäudes des österreichischen Anbieters Mikrohaus.com. Foto: Hersteller

Wie eingangs schon erwähnt, sind Mikrohäuser in Europa bisher eher Nischenprodukte. Der Trend wird noch nicht – wie in den USA – durch eine starke „Tiny House Movement“ (oder: „Small House Movement“) befeuert. Doch auch die Kleinhaus-Anhänger in Europa verbindet meist mehr als nur der Wunsch nach preisgünstigem Wohnraum. Es gibt eine umfassendere Philosophie, die sich um das Mikrohaus rankt und das Potenzial zu einer „Bewegung“ besitzt.

Zu dieser Philosophie gehört natürlich der „Small is beautiful“-Gedanke – die Idee, dass das eigene Leben am Ende erfüllter sein könnte, wenn man sich auf eine Strategie des Gesundschrumpfens einlässt („Downsizing“). Aber auch ein ökologisches, nachhaltiges Bewusstsein ist typisch für die Mikrohaus-Bewegung. Die Häuser werden oft aus ökologischen Baustoffen oder recycelten Materialien gebaut. Nach der Erhebung von Catella Research werden Mikrohäuser in Europa zu 55 % in Holzbauweise errichtet (35 % massiver Holzbau, 20 % Holzständerbauweise). Nur bei 18 % der Objekte handelt es sich dagegen um massiven Steinbau, 11 % bestehen zu großen Teilen aus Kunststoffen, und 9 % werden im Strohballenbau realisiert (sonstige Bauweisen: 7 %).

Zur Mikrohaus-Philosophie gehört ferner die Möglichkeit der Mobilität – auch beim Wohnen. Dieser Vorteil macht die Minihäuser nicht nur attraktiv für Preis- und Ökologiebewusste oder für „Selbstverwirklicher“, sondern passt auch zu Anforderungen der modernen Arbeitswelt, die von Beschäftigten oft auch die Bereitschaft zu Umzügen fordert. Außerdem entdecken auch Unternehmen zunehmend Mikrohäuser als temporäre Geschäfts- und Messebüros oder als schnell realisierbare Personalwohnungen in Städten mit hoher Wohnungsnot.

Vor- und Nachteile

Mikrohäuser sind kostengünstig in der Herstellung, können vergleichsweise schnell errichtet werden und verursachen aufgrund der kleinen Wohnfläche meist viel geringere Unterhaltskosten als herkömmliche Wohnungen oder Häuser. In Zeiten zunehmender Wohnraumverknappung sowie steigender Miet- und Hauspreise ist das ein starkes Argument pro Mikrohaus.

Aufgrund ihrer kompakten Bauweise verbrauchen die Kleinhäuser meist wenig Heizenergie – vorausgesetzt die in der Regel dünnen Wände sind halbwegs gut gedämmt. Bei cleverer Planung lässt sich die Energiezufuhr für die kleinen Wohneinheiten in vielen Fällen komplett durch den Einsatz von Solarthermie, Photovoltaik und Wärmepumpentechnik decken. Das passt zum ökologischen Gedanken, weil keine fossilen Brennstoffe notwendig sind. Außerdem ist so der Anschluss externer Strom- und Heizungsleitungen überflüssig. Und das fördert wiederum die Mobilität.

Nach der Studie von Catella Research gab es 2016 in Europa immerhin bereits rund 80 Funktionsanbieter für Mikrohäuser. Bei den meisten Angeboten handelte es sich um voll ausgestattete, eingerichtete Kleinhäuser mit Schlafbereich, Küchennische, Bad- und Wohnzimmer sowie Terrasse. Für die günstigsten Mikrohäuser mit eher spartanisch-funktioneller Einrichtung wurden Preise ab 15.000 Euro verlangt. Im Luxussegment reichte die Preisspanne bis zu 350.000 Euro.

Natürlich haben Mikrohäuser nicht nur Vorteile – und sie sind eben nichts für Jeden. Wer viel Platz und Stauraum braucht, wer einmal erstandene Besitztümer gerne aufbewahrt, wer eine Sammlernatur ist oder eine Wohnung der kurzen Wege nicht praktisch, sondern nur einengend findet, der dürfte keine Freude am Mikrohaus haben.

Allgemein nachteilig ist sicher, dass es nur wenig Platz für Gäste gibt. Und noch etwas dürfte ein Problem sein, wenn man nicht der Typ für ein Mikrohaus ist: In den kompakten Gebäuden mit ihren dünnen Wänden werden sich viele Menschen vermutlich unsicherer und weniger aufgehoben fühlen als im gewohnten Massivhaus, das zudem mehr Rückzugsorte bietet.


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Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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