
Bild aus verschiedenen Moosen auf einem textilen Untergrund. Alle Fotos: Patrick Pollmeier / FH Bielefeld
Moosfassade als Wasserspeicher
Grünflächen an Fassaden sorgen durch Verdunstungskälte für eine Verbesserung des Mikroklimas in Städten und speichern zudem Regenwasser. Doch wie lässt sich ein solcher vertikaler Bewuchs am besten umsetzen? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FH Bielefeld forschen an einer neuartigen Kultivierung von Moosen und Mikroalgen auf textilen Substraten.
„So ließen sich Stadtbegrünung, eine Verbesserung des Mikroklimas und das Auffangen großer Regenmengen kombinieren“, erläutert Projektleiter Jan Lukas Storck. Zwar gibt es bereits einige marktreife Konzepte für vertikale Grünflächen, aber mit dem Ansatz, Moose und Algen direkt auf textilem Untergrund wachsen zu lassen, verfolgen die Bielefelder einen neuen Ansatz. Die Idee ist übrigens auch auf Innenräume übertragbar.
Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz für zwei Jahre mit 220.000 Euro geförderte FH-Projekt läuft noch bis Ende Januar 2023. Ein wichtiges Zwischenergebnis erläutert Projektmitarbeiter Bennet Brockhagen: „Moose sind sehr viel besser geeignet, um Wasser zu speichern, und ihre Wachstumsgeschwindigkeit ist kontrollierbarer als bei Algen“. Daher haben die Forschenden die Begrünung mit Moosen zunächst in den Fokus gerückt.
Wasserspeichernde Textilien

Hier wurden die Moose festgenäht, um sie auf der vertikalen Fläche zu halten.
Ziel des Forschungsprojektes ist es außerdem, die für einen platzsparenden grünen Bewuchs am besten geeigneten Textilien zu finden. Sie sollten über eine hohe Wasserspeicherkapazität verfügen und tragfähig auch im nassen Zustand sein. Außerdem dürfen sie nicht schimmeln und müssen alterungsbeständig sein.
Um den bestmöglichen Untergrund zu finden, arbeitet die FH Bielefeld mit der Strickerei Bache Innovative aus Rheinberg am Niederrhein zusammen. „Durch die hohe Expertise unseres Partners und dessen Maschinenpark, der dem neuesten Stand der Technik entspricht, ist dieser in der Lage, uns mit individuellen und komplexen Gestricken zu versorgen“, erklärt der biologisch-technische Assistent Bennet Brockhagen.
Die Versuche der Forschenden laufen nicht nur im Labor, sondern auch im Freien. So testen sie unter anderem, welches textile Material am besten Feuchtigkeit speichert, indem sie kleine Taschen aus verschiedenen Textilien genäht haben, die mit Moosen befüllt wurden. Diese Moostaschen hat man dann in einer ebenfalls textilen Aufhängung mit aufgenähten Taschenbehältern untergebracht und draußen aufgehängt. Dort wurden sie nur durch Regen bewässert.
Nach rund anderthalb Jahren Projektlaufzeit wurden einige geeignete Textilsubstrate gefunden. Ein Gestrick aus Tencel – zwei- oder dreifädig verarbeitet – brachte bisher die besten Ergebnisse. Dabei handelt es sich um eine aus Holz gewonnene, industriell hergestellte Zellulosefaser. „Allerdings speichert das Textil unheimlich viel Wasser und wird sehr schwer“, räumt Brockhagen ein. „Das muss dann in der Gebäudestatik berücksichtigt werden.“
Die bisherigen Versuche haben außerdem gezeigt, dass es am erfolgversprechendsten ist, die Moose auf den textilen Untergrund aufzunähen. Dadurch wird ihr Halt auf den vertikalen Flächen am besten garantiert. Diese Nähpraxis sieht man den Versuchskörpern der FH-Forschenden sogar an. Bei genauem Hinsehen erkennt man die Fäden.
Bewässerung über Kapillarbrücken

Fäden, die sich im Reservoir mit Wasser vollsaugen, versorgen die Pflanzen mit Wasser.
Textile Fäden spielen auch eine große Rolle bei einem automatisierten Bewässerungssystem für die Moosfassaden, das im Rahmen des Projekts entwickelt wurde. Es handelt sich dabei um eine passive Bewässerung über Kapillarbrücken, wobei die „Brücken“ eben aus Fadenmaterial bestehen. „Man kann sich das so vorstellen, dass ein Faden mit hoher Kapillarkraft das Wasser aus einem Reservoir aufsaugt“, erklärt Bennet Brockhagen. „Der Faden ist wiederum in dem Gestrick eingearbeitet, auf dem die Moose wachsen. Wir haben unter anderem getestet, welches Material sich am besten eignet und in welchen Abständen diese Kapillarbrücken verarbeitet werden müssen.“
Diese Form der passiven Bewässerung setzt natürlich ein externes Reservoir voraus, aus dem die Fadenschnüre das Wasser ziehen und zu Moosen weiterleiten können. Für die Befüllung solcher Reservoire sind verschiedene Varianten denkbar: Man kann sie einfach mit aufgefangenem Regenwasser speisen oder auch per Hand nachfüllen. Oder man installiert einen Mechanismus, bei dem ab einem bestimmten Füllstand automatisch frisches Wasser nachfließt.
Da Moose auch längere Trockenperioden unbeschadet überstehen können, wäre es grundsätzlich auch möglich, ganz auf ein Bewässerungssystem zu verzichten. In Deutschland dürften über das Jahr betrachtet nach wie vor genügend Niederschläge anfallen, damit die Pflanzen überleben. Mit dem Verzicht auf die Wasserreservoire würde man allerdings auch das Potenzial der Moosfassade einschränken, überschüssige Niederschläge zu speichern. Diese sind auch bei vorhandenem Wasserreservoir absolut erwünscht. „Die Beregnung reduziert die notwendige Zugabe an Wasser“, erläutert Projektleiter Jan Lukas Storck.
Aktive Bewässerung
Neben der passiven Bewässerung wird im FH-Projekt auch an einem computergesteuerten System zur aktiven Bewässerung gearbeitet. „Mit der aktiven Bewässerung meinen wir ein automatisiertes Bewässerungssystem, das die Feuchtigkeit im Textil, auf welchem die Moose wachsen, regelt und per Berieselung oder Besprühung Wasser bei Bedarf hinzugibt“, erklärt Storck. „Natürlich kann ein solches System auch mit Kapillarbrücken kombiniert werden.“
Ein weiterer Schwerpunkt der Projektarbeit besteht darin, ein System zu entwickeln, mit dem sich die Wachstumsbedingungen der Fassadenmoose dauerhaft überprüfen lassen. Hier arbeitet die FH Bielefeld mit Temperatur-, Feuchtigkeits- und Leitfähigkeitssensoren zur Messung der Nährstoffkonzentration. Eine aktive Bewässerung inklusive Kontrolle der Wachstumsbedingungen kann sich der Projektleiter vor allem für große Fassaden an Büro- oder Wohngebäuden vorstellen, die über ein zentrales Gebäudemanagement verfügen.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
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