
Deutschland braucht mehr Wohnneubau – doch es fehlen die Fachkräfte. Foto: Pixabay
Gutachten zur Wohnungspolitik der Ampel
Das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) setzt sich in einem neuen Gutachten mit der Wohnungspolitik der Bundesregierung auseinander. Die Autoren – zwei Immobilienökonomen – bewerten darin die wohnungspolitischen Ziele im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Deren Pläne seien praktisch kaum umsetzbar, vor allem weil Fachkräfte in der Baubranche fehlen.
Das Gutachten „Wohnungspolitik in Rot, Grün und Gelb – Eine Bewertung des Ampel-Koalitionsvertrags aus ökonomischer Sicht“ ist Mitte Februar erschienen (Direktlink zum kostenlosen PDF hier). Verfasst wurde es von den IW-Mitarbeitern Ralph Henger (Senior Economist für Wohnungspolitik und Immobilienökonomik) und Michael Voigtländer (Immobilienökonom). Auftraggeber des Gutachtens ist das Wohnungsbauunternehmen Deutsche Reihenhaus AG, das sich auf die Errichtung von standardisierten Reihenhäusern und Geschosswohnungsbauten in serieller Bauweise spezialisiert hat.
Überambitionierte Ziele

Die Baukosten sind in Deutschland zuletzt wieder rasant gestiegen. Grafik: IW-Gutachten
Die Ampel-Regierung hat in ihrem Koalitionsvertrag durchaus ambitionierte wohnungsbaupolitische Ziele formuliert, die allerdings nur spärlich mit konkreten Zahlen unterlegt wurden. Immerhin wird ein allgemeines Ziel beziffert: In Deutschland sollen bis 2025 jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen entstehen – ein Viertel davon öffentlich geförderte Sozialwohnungen. Letzteres hieße 100.000 neue Sozialwohnungen pro Jahr. Zum Vergleich: 2020 wurden davon nur etwa 30.000 gebaut.
An dieser Stelle formulieren Henger und Voigtländer einen ersten – überraschenden – Einwand: Nach Ansicht der Ökonomen überschreitet nämlich das Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen den tatsächlichen Bedarf deutlich. Nach IW-Berechnungen seien bereits 308.000 Einheiten ausreichend. Das Gutachten begründet die niedrigere Bedarfsprognose damit, dass in den nächsten Jahren mit einer geringeren Zuwanderung zu rechnen sei als insbesondere zwischen 2015 und 2019.
Es ist an dieser Stelle allerdings darauf hinzuweisen, dass die erwähnten IW-Berechnungen noch vor dem Ukraine-Krieg stattfanden. Da dieser zu neuen Flüchtlingsbewegungen geführt hat, ist der im Gutachten kommunizierte Bedarf von jährlich 308.000 neuen Wohnungseinheiten heute also womöglich schon wieder überholt.
Sozialwohnungsneubau zu teuer?
Die Förderung von 100.000 neuen Sozialwohnungen pro Jahr hält das Gutachten für kaum realisierbar, schon allein, weil dieses Vorhaben für Bund und Länder sehr kostspielig wäre. Die Autoren verweisen hier auf Schätzungen des Pestel-Instituts von 2022, wonach für 100.000 neue Sozialwohnungen – je nach Fördertiefe, Ausstattung und Gebäudestandard – zwischen 5 und 8,5 Mrd. Euro an staatlichen Subventionen notwendig seien (vergleiche dazu den BaustoffWissen-Beitrag „Studie: Kosten der Wohnungsbauwende“).
Laut Gutachten wäre es sowohl kostengünstiger als auch zielgenauer, der für Sozialwohnungen infrage kommenden Zielgruppe mit Wohngeld zu helfen. Die Autoren empfehlen zudem den verstärkten öffentlichen Erwerb von Belegungsrechten im Wohnungsbestand. Dies sei ein „vielversprechender Ansatz mit enormem Potenzial“, der im Vergleich zur Neubauförderung stärker genutzt werden sollte, um mehr Wohnraum für sozial Schwache sicherzustellen.
Massiver Fachkräftemangel

Das rund 30-seitige Gutachten wurde Mitte Februar veröffentlicht.
Ein wesentliches Hindernis zur Umsetzung der Neubauziele aus dem Koalitionsvertrag ist der Personalmangel. Das Gutachten sieht hier ein massives Problem. 2021 seien in der Baubranche 50 % der Stellen für Fachkräfte nicht besetzbar gewesen, bei Experten mit Studienabschluss waren es sogar 73 %. Besonders angespannt sei die Lage bei Bauelektrikern und im Segment Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik.
Henger und Voigtländer weisen darauf hin, dass die Knappheit an Arbeitskräften auch dazu beiträgt, dass die Neubaukosten weiter steigen. Warum? Weil der Personalmangel zu längeren Bauzeiten und höheren Löhne führt. Als weitere Kostensteigerungsfaktoren heben sie insbesondere die wachsenden Baustoff- und Baulandpreise sowie strengere energetische Gebäudestandards hervor.
Der Fachkräftemangel befeuert zudem einen Zielkonflikt zwischen Wohnneubau und Bestandsanierung. Die Bundesregierung will ja nicht nur, dass mehr Wohnungen gebaut werden, sondern zugleich auch die Sanierungsquote im Wohnungsbestand deutlich erhöhen. Gelänge es, mehr Fachkräfte für den Neubau zu gewinnen, würden möglicherweise genau diese Fachkräfte bei der energetischen Gebäudesanierung verstärkt fehlen.
Um ihre Klimaschutzziele zu erreichen, will die Bundesregierung zudem die energetischen Standards im Gebäudebereich weiter anheben. Eine Verschärfung des Gebäudeenergiegesetzes ist bereits in Planung. Strengere energetische Anforderungen bedeuten in der Praxis wahrscheinlich noch höhere Bau- und Sanierungskosten. „Es wird ein instrumentelles Gesamtkonzept benötigt, das langfristig Investitionsanreize setzt und das Klimaschutz-Wohnkosten-Dilemma auflöst“, betont daher Immobilienökonom Michael Voigtländer.
Wohneigentumsquote erhöhen
Durchaus positiv bewertet das Gutachten ein anderes Ziel des Koalitionsvertrags: Die Ampel will Hürden beim Immobilienerwerb senken, um die seit zehn Jahren bei rund 45 % stagnierende Wohneigentumsquote in Deutschland zu erhöhen. Geplant ist unter anderem eine Entlastung bei der Grunderwerbsteuer für Menschen, die Wohneigentum zur Selbstnutzung kaufen. Außerdem soll es zinsgünstige Darlehen für Haushalte geben, die finanziell nicht in der Lage sind, genügend Eigenkapital anzusparen, um die Erwerbsnebenkosten zu begleichen.
„Dies ist sicherlich ein sinnvolles Instrument, um Selbstnutzern den Zugang zu Wohneigentum zu erleichtern, ohne dass dies mit großen Mehrausgaben für den Staat verbunden ist“, urteilt Michael Voigtländer. „Auch Kreditausfallversicherungen und eine bessere Sparförderung können hier hilfreich sein.“
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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