RM Rudolf Müller
Das Hamburger Studentenwohnheim „Woodie“ besteht aus aufeinandergestapelten Massivholz-Modulen in Container-Form. Grafik: Woodie Hamburg

Das Hamburger Studentenwohnheim „Woodie“ besteht aus aufeinandergestapelten Massivholz-Modulen in Container-Form. Grafik: Woodie Hamburg

Fassade und Massivbau
09. Januar 2018 | Artikel teilen Artikel teilen

Was bedeutet serielles Bauen?

In einem Drittel aller deutschen Kommunen herrscht heute Wohnungsmangel. Das ist das ernüchternde Fazit einer im Mai 2017 veröffentlichten Prognos-Studie. Vor allem mangelt es hierzulande an bezahlbaren Mietwohnungen – so ein weiteres Ergebnis der Untersuchung. Als Lösung wird häufig eine Forcierung des seriellen Bauens gefordert. Unser Beitrag erklärt, was das ist.

Für 138 deutsche Städte und Kreise haben die Prognos-Forscher Wohnungsknappheit diagnostiziert. Das Problem gibt es also nicht mehr nur in Großstädten wie Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Köln, München oder Stuttgart. Selbst für Haushalte mit mittleren Einkommen werde es immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden, heißt es in der Studie „Wohnraum-Bedarf in Deutschland und den regionalen Wohnungsmärkten“, die vom Verbändebündnis Wohnungsbau in Auftrag gegeben wurde.

Das Bündnis kritisiert schon länger, dass Bauen in Deutschland mittlerweile viel zu teuer sei und fordert ein Ende kostentreibender Verschärfungen von Gesetzen und Normen im Baubereich (Stichwort EnEV). Angesichts des realen Mangels an bezahlbarem Wohnraum müsse kostenoptimiertes Bauen wieder stärker in den Fokus rücken. Ein Weg dahin könnte künftig das serielle Bauen sein.

Kostengünstiger und schneller

Wohnungsbau sollte also kostengünstiger werden – und das möglichst ohne Qualitätsabstriche! Darüber hinaus muss in Zukunft aber auch schneller gebaut werden. Nach Einschätzung des Bundesbauministeriums braucht Deutschland bis 2020 nämlich jährlich mindestens 350.000 neue Wohnungen. Mit dem bisherigen Planungs- und Bautempo ist das kaum zu erreichen. Doch auch bei diesem Problem könnten serielle Bauweisen weiterhelfen.

Serielles Bauen bedeutet Bauen in Serie. Anstatt dass man jeden einzelnen Wohnneubau als Unikat plant und ihn dann auf der Baustelle „Stein für Stein“ errichtet, orientiert sich die serielle Bauweise eher an industriellen Herstellungsprozessen wie man sie zum Beispiel vom Autobau kennt. Für die Planung bedeutet das, dass Gebäude oder Gebäudeteile (Module) zunächst als Prototypen entworfen werden, um sie dann später in Serie zu bauen.

Dabei verlagert sich der Ort des Bauens: Komplette Gebäudewände oder auch fertige Raummodule lassen sich im Werk vorfertigen und müssen dann auf der Baustelle nur noch zusammengefügt werden. Auf diese Weise verkürzen und vereinfachen sich Planungs- und Errichtungsprozesse. Unterm Strich soll Bauen dadurch wieder günstiger und schneller werden.

Trend zur Modulbauweise

Serielles Bauen bedeutet also im Kern eine Abkehr von der Einzelfertigung und eine Zuwendung hin zur Serienfertigung von Prototypen. Wobei der Trend nicht unbedingt dahingeht, komplette Typengebäude in Serie zu bauen. In der Praxis überwiegt stattdessen die Modulbauweise. Dabei werden im Werk nur einzelne Gebäudemodule – zum Beispiel eine Badzelle oder ein Balkon – standardisiert vorgefertigt. Diese Module lassen sich dann auf der Baustelle zu unterschiedlichen Gesamtgebäuden zusammenfügen. So kann das Gebäude ein Unikat bleiben, auch wenn seine einzelnen Bestandteile einer Serienfertigung entspringen. Durch eine verschiedenartige Kombination der Einzelmodule bleibt die Individualität der Architektur zumindest zum Teil erhalten.

Alte Fehler vermeiden

Deutschland braucht in kurzer Zeit deutlich mehr bezahlbaren Wohnraum. Doch Begriffe wie serielles Bauen oder industrieller Wohnbau stoßen bei vielen Menschen auf Vorbehalte. Auch das Verbändebündnis Wohnungsbau betont, dass der serielle Wohnungsbau von heute nicht die „Platte von morgen“ werden dürfe. Die Angst dahinter ist, dass standardisierte Bauprozesse am Ende wieder zu tristen, gleichförmigen Plattenbau-Siedlungen führen, wie man sie etwa aus der DDR kannte.

Diese Angst ist durchaus nicht unbegründet, das Schreckensszenario aber auch nicht zwangsläufig. Wie bereits realisierte Bauprojekte zeigen, hat die Modulbauweise durchaus das Potenzial, kostengünstige, stark rationalisierte Planungs- und Errichtungsprozesse mit einer hohen individuellen Architekturqualität zu verbinden. Und als Baustoff kommen beim seriellen Bauen von heute auch keineswegs nur Betonplatten infrage. Wände und Raummodule lassen sich auch aus Holz beziehungsweise großformatigen Kalksandstein-, Ziegel– oder Porenbeton-Plansteinen im Werk vorfertigen.

Projektbeispiele

Dieser modulare Wohnneubau in Berlin-Spandau dient aktuell als Flüchtlingsunterkunft. Grafik: Gewobag

Dieser modulare Wohnneubau in Berlin-Spandau dient aktuell als Flüchtlingsunterkunft. Grafik: Gewobag

Serielle Bauweisen haben sich in den letzten Jahren nicht zuletzt bei der schnellen Errichtung von Flüchtlingsunterkünften bewährt. Manche dieser Unterkünfte hat man von vorneherein nur als temporäre Bauten geplant, andere werden nach der Erstnutzung durch die Geflüchteten als normale Mietwohnungen bestehen bleiben.

So hat zum Beispiel die Gewobag Mitte 2017 in Berlin-Spandau einen Neubau fertiggestellt, der zunächst Platz für 320 Geflüchtete bietet und später in den regulären Vermietungsbestand des Immobilienunternehmens übergehen soll. Die Schlüsselübergabe für den sechs- beziehungsweise siebengeschossigen modularen Wohnungsbau (siehe Bild 2) erfolgte nach nur neun Monaten Bauzeit. Auf einer Fläche von insgesamt 5.471 m² wurden vier verschiedene Wohnungstypen von der Ein- bis zur Vier-Zimmer-Wohnung errichtet. Die Bauweise mit Modulen, die vorgefertigt angeliefert und auf der Fundamentplatte montiert wurden, ermöglichte die rasche Fertigstellung.

Ein anderes Beispiel: In Hamburg-Wilhelmsburg entstand 2017 in nur neun Monaten Bauzeit das in Holz-Modulbauweise errichtete Studentenwohnheim „Woodie“ (siehe Bild 1). Der sechsgeschossige Gebäudekomplex bietet 371 Studentenwohnungen. Die kurze Bauzeit war durch das hohe Maß an Vorfertigung möglich. Alle Wohneinheiten wurden bereits im Werk zusammengebaut und als Fertigmodule auf die Baustelle geliefert. Das verantwortliche Berliner Architekturbüro Sauerbruch Hutton hatte die Idee, die Wohneinheiten in Form leicht stapelbarer Massivholz-Container herzustellen. Auf der Baustelle wurden die fertigen Wohnmodule per Kran aufeinander gestapelt.


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Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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