
Der Wohnungsneubau soll künftig deutlich zulegen. Foto: Unipor / Rahel Welsen, Darmstadt
Studie: Kosten der Wohnungsbauwende
Die neue Bundesregierung hat sich beim Wohnungsbau ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: In der laufenden Legislaturperiode sollen in Deutschland jedes Jahr 400.000 Neubauwohnungen entstehen. Das Verbändebündnis „Soziales Wohnen“ begrüßt diese Zielmarke und hält damit sogar „ein Ende des dramatischen Wohnungsmangels bis 2025“ für möglich. Voraussetzung seien allerdings Milliarden an staatlichen Fördergeldern. Um welche Summen es dabei geht, hat das Bündnis in einer aktuellen Wohnungsbau-Studie errechnen lassen.
Das Bündnis „Soziales Wohnen“ ist ein Zusammenschluss von fünf Verbänden und Organisationen. Die Bauwirtschaft ist vertreten mit dem Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) und der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM). Weitere Mitglieder sind der Deutsche Mieterbund (DMB), die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und die Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP).
Die Mitte Januar vorgestellte Studie „Bezahlbarer Wohnraum 2022“ wurde vom Pestel-Institut (Hannover) im Auftrag des Verbändebündnis erstellt. Die rund 40-seitige Veröffentlichung lässt sich hier als kostenloses PDF downloaden.
5 Mrd. Euro Förderung als Minimum

Entwicklung des Wohnungsbaus in Deutschland von 2010 bis 2021. Grafik: Pestel-Institut
Im Kapitel „Bauen und Wohnen“ des Koalitionsvertrages der Ampel-Regierung heißt es: „Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Dafür werden wir die finanzielle Unterstützung des Bundes für den sozialen Wohnungsbau inklusive sozialer Eigenheimförderung fortführen und die Mittel erhöhen.“
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden in Deutschland 2021 insgesamt 306.376 neue Wohnungseinheiten fertiggestellt. Das war der höchste Wert seit 2001 (326.187). Um die anvisierte Zielmarke von 400.000 für das laufende Jahr zu erreichen, bedarf es aber noch größerer Anstrengungen von Bauwirtschaft und Politik.
Nach den Berechnungen der Pestel-Studie müssten Bund und Länder für die geplanten 100.000 neuen Sozialwohnungen – bei einer angenommenen Wohnfläche von durchschnittlich 60 m2 – jedes Jahr Fördergelder in Höhe von 5 Mrd. Euro bereitstellen. So viel Zuschüsse seien notwendig, wenn die Wohnungen nach den derzeit vorgeschriebenen Mindeststandards des Gebäudeenergie-Gesetzes (GEG) gebaut werden. Will die „Ampel“ dagegen auch bei den Sozialwohnungen den maximalen Klimaschutz für Wohngebäude erreichen (Effizienzhaus 40), dann wären laut Pestel-Institut sogar 8,5 Mrd. Euro notwendig.
Wohnungsmarkt-Wende bis 2025 möglich

Effizienter Wohnungsneubau mit Kalksandsteinen im XL-Format. Foto: Wilhelm Wallbrecht GmbH & Co. KG, Hannover / KS-Original GmbH
Laut Studie belief sich der Mitteleinsatz von Bund und Ländern für den sozialen Wohnungsbau in der jüngsten Vergangenheit auf etwa 2,2 Mrd. Euro pro Jahr. Wie oben gezeigt, hält das Pestel-Institut mehr als das doppelte dieser Summe für notwendig, um die erhöhten Neubauziele im GEG-Standard zu verwirklichen. Gleichwohl stellt die Studie das Ziel aber nicht in Frage. „Mehr als 11 Mio. Mieterhaushalte haben in Deutschland einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS) – und damit auf eine Sozialwohnung“, unterstreicht Robert Feiger, Bundesvorsitzender der IG BAU, die Bedeutung des Themas. „Nur für jeden Zehnten davon gibt es allerdings eine Sozialwohnung – das ist eine bittere 1:10- Chance.“
Die Studie unterstützt also ausdrücklich die Ziele der Bundesregierung im Wohnungsbau. Das Pestel-Institut legt sich fest: „Die Schaffung von 400.000 Wohnungen je Jahr wird für einen nahezu vollständigen Wohnungsdefizitabbau bis 2025 sorgen.“ Die Studie unterstreicht aber auch, dass das angekündigte Ziel im Sozialwohnungsbau beziehungsweise überhaupt bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum nur mit einem erheblichen Anstieg des Fördervolumens zu erreichen sein wird.
„Das durchaus ambitionierte Ziel der neuen Bundesregierung, 100.000 geförderte Wohnungen pro Jahr neu zu errichten, verdient unsere volle Unterstützung, ist aber mit den bisher zur Verfügung gestellten und lediglich fortgeschriebenen Mitteln noch nicht einmal im Ansatz erreichbar“, unterstreicht Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbundes.
Bezahlbare Neubauwohnungen notwendig
Damit das geplante größere Wohnungsangebot nicht weitgehend an der Nachfrage vorbeigeht, fordert das Bündnis „Soziales Wohnen“ neben den 100.000 Sozialwohnungen zusätzlich auch die Errichtung von jährlich 60.000 „bezahlbaren Neubauwohnungen“ mit einer Kaltmiete von höchstens 8,50 Euro pro Quadratmeter. Auch dafür würden zusätzliche Fördermittel benötigt: zwischen jährlich 1 Mrd. Euro bei aktuellem Energiespar-Standard (GEG-Haus) und 4,4 Mrd. Euro für den Effizienzhaus-40-Standard.
In der Studie wird die Entwicklung des Wohnungsbaus in Deutschland zwischen 2010 und 2020 näher analysiert. Der Bau von Mietsozialwohnungen nahm in dieser Zeit wieder deutlich zu – allerdings ausgehend von einem sehr geringen Niveau und bei Weitem nicht in den Größenordnungen der 1980er-Jahre. Darüber hinaus fand der Neubau zusätzlicher bezahlbarer Wohnungen im zurückliegenden Jahrzehnt so gut wie gar nicht statt. In der Studie heißt es wörtlich: „Bezahlbarer Wohnraum zu Kaltmieten um 8,50 Euro pro m2 Wohnfläche für Haushalte mit mittleren Einkommen, für die kein Belegrecht besteht, wurde insbesondere in den Ballungsgebieten praktisch nicht neu geschaffen.“
Preistreiber beim Neubau sei insbesondere auch das Bauland. „Bei Grundstückspreisen von 300 Euro pro Quadratmeter ist die Schmerzgrenze erreicht“, sagt der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther. „Das ist der aktuelle Bauland-Schwellenpreis. Liegen die Grundstückspreise darüber, haben der soziale und bezahlbare Wohnungsbau praktisch keine Chance mehr“. Das Bündnis „Soziales Wohnen“ appelliert daher an den Bund und die Länder, vor allem aber auch an die Städte und Gemeinden, dem sozialen und bezahlbaren Wohnungsbau offensiv günstiges Bauland bereitzustellen.
Bündnis fordert Wohn-Härtefallkommissionen

Die neue Studie wurde am 14. Januar bei einer Hybrid-Pressekonferenz in Berlin vorgestellt. Bild: Verbändebündnis Soziales Wohnen
Das Bündnis fordert zudem, dass künftig 10 % aller neuen Sozialmietwohnungen betroffenen Gruppen zur Verfügung gestellt werden, die es besonders schwer haben, auf dem Wohnungsmarkt Fuß zu fassen. Dazu gehören Menschen mit Behinderung, Senioren, die von der Altenhilfe betreut werden, und Haushalte, in denen ein Demenzerkrankter lebt. Für solche Gruppen bedürfe es vor allem barrierefrei gebaute Sozialwohnungen. Der diesbezügliche Bedarf ist offenbar riesig. Nach Angaben von Janina Bessenich, Geschäftsführerin der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie, gibt es in Deutschland aktuell 10 Mio. Menschen mit Behinderung, aber nur 1 Mio. barrierearme Sozialwohnungen.
Zugang zu dem 10-%-Kontingent sollten laut Verbändebündnis aber auch benachteiligte Jugendliche, Wohnungslose, Bewohnerinnen von Frauenhäusern, Menschen, die aus der Haft entlassen wurden, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Geflüchtete und Menschen mit Suchterkrankungen erhalten. Zur Umsetzung der 10-%-Regel hat das Bündnis „Soziales Wohnen“ sogar konkrete Vorschläge gemacht. Demnach sollen die Stadt- und Gemeinderäte aller deutschen Kommunen „Wohn-Härtefallkommissionen“ einführen. Zu deren Mitgliedern sollen auch Personen aus dem Kreis der betroffenen Gruppen zählen. Die Härtefallkommissionen sollten dann, so das Bündnis, vor Ort die Bedürftigkeit im Einzelfall prüfen und auf dieser Basis über das 10-%-Kontingent der zu vergebenen Sozialwohnungen entscheiden.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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