Bis 2050 müssen alle Bestandsbauten Nullemissionsgebäude sein – aber wie? (Quelle: Pixabay)

Forschung 2024-05-15T07:00:00Z Nullemissionsgebäude: Was ist effizient?

Die neue EU-Gebäuderichtlinie sieht vor, dass der europäische Gebäudebestand ab 2050 keine CO2-Emissionen mehr verursachen darf. Alle Häuser sollen bis dahin zu „Nullemissionsgebäuden“ umgewandelt sein. Doch wie lässt sich das wirtschaftlich effektiv umsetzen? Eine neue Studie im Auftrag des GdW macht sich dazu Gedanken.

Die neue EU-Gebäuderichtlinie heißt eigentlich „Energy Performance of Buildings Directive“ (EPBD) und wurde vom Europäischen Parlament am 12. März dieses Jahres verabschiedet. Während sich die alte Richtlinie von 2010 inhaltlich vor allem mit der Gesamtenergieeffizienz von Neubauten befasste, geht es in dem neuen Papier auch in stärkerem Maße um EU-Vorschriften für die Renovierung von Gebäuden. Die verabschiedete Neufassung der Richtlinie steht hier zum Download bereit.

Was sind Nullemissionsgebäude?

Wie bereits im BaustoffWissen-Beitrag „EU: Sanierungspflicht kommt doch nicht“ geschildert, verzichtet die neue Gebäuderichtlinie nach langen und kontroversen Diskussionen nun doch auf die ursprünglich geplante generelle Sanierungspflicht für private Wohnhäuser. Diese hätte Besitzer von energetisch besonders ineffizienten Wohnimmobilien getroffen.

Für Wärmepumpen müssen Gebäude „niedertemperaturfähig“ sein. (Quelle: BWP / Viessmann)

Gleichwohl lässt die EPBD den Gebäudebestand nicht einfach außer Acht. Im Gegenteil: Das Papier fordert sogar, dass bis zum Jahr 2050 alle bestehenden Wohngebäude in Europa zu so genannten Nullemissionsgebäuden werden müssen. Neubauten müssen sogar schon bis spätestens 2030 Nullemissionsgebäude sein.

Wie passt diese Null-Emissions-Pflicht zum Verzicht auf eine Sanierungspflicht? Ganz einfach: Um ein Bestandsgebäude zum Nullemissionsgebäude zu machen, muss man nicht zwangsläufig eine sehr hohe energetische Sanierungstiefe bei der Gebäudehülle umsetzen, damit der Heizenergiebedarf drastisch sinkt. Man kann dasselbe Ziel – Vermeidung von Emissionen beim Betrieb von Gebäuden – auch erreichen, indem man konsequent auf erneuerbare Energieversorgung setzt – etwa durch Nutzung von Photovoltaik und/oder Wärmepumpen.

In der neuen Gebäuderichtlinie werden Nullemissionsgebäude (Zero Energy Building: ZEB) als „neue Vision für Gebäude“ bezeichnet. Konkret werden sie als Gebäude definiert, die „keine CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen am Standort“ und „keine oder eine sehr geringe Menge an betriebsbedingten Treibhausgasemissionen“ verursachen.

Nationale Umsetzung im GEG

Die Anforderungen der EU-Gebäuderichtlinie – also auch die Anforderungen an die Nullemissionsgebäude – müssen in Deutschland über das Gebäudeenergiegesetz (GEG) umgesetzt werden. Sie sind zugleich so allgemein gefasst, dass sie den einzelnen EU-Ländern relativ große Entscheidungsspielräume bei der Frage lassen, wie die EU-Richtlinie konkret in nationale Gesetzgebung umzusetzen ist.

Die 25-seitige Studie gibt es als kostenloses PDF zum Downloaden. (Quelle: EBS Universität für Wirtschaft und Recht)

Einen Beitrag zur diesbezüglichen Diskussion liefert die im Februar erschienene Studie „Mehrkosteneffizienz alternativer Zero Emission Building (ZEB) Definitionen“, die Prof. Dr. Nikolas Müller von der EBS-Universität (Oestrich-Winkel) im Auftrag des GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen) erstellt hat. Sie zeigt nämlich alternative Wege für die Umsetzung der EPBD in kommenden GEG-Novellen auf und geht dabei insbesondere auf das Thema der energetischen Gebäudesanierung ein.

Der GdW fordert mit Bezug auf die Studie insbesondere „leistbare Nullemissionshäuser“. „Bei der Umsetzung der Klimaziele der Europäischen Union kommt es stark auf die nationale Umsetzung an“, betont GdW-Präsident Axel Gedaschko. „Dabei muss unbedingt die finanzielle Leistungsfähigkeit der sozial orientierten Wohnungsunternehmen und die Bezahlbarkeit insbesondere für Mieter mit mittleren und niedrigen Einkommen berücksichtigt werden.“

Die Studie unterstützt diese Forderung. Der Autor Prof. Müller vertritt nämlich die These, dass sich Investitionen in energetische Sanierungen des Gebäudebestands angesichts der hohen gesetzlichen Standards schon heute finanziell nicht auszahlen. „Die Grenzkosten der Energieeinsparung im Gebäudebestand sind längst überschritten, Vollsanierungen sind nicht warmmietenneutral, sie führen für Eigentümer wie für Mieter zu zusätzlichen Kosten“, heißt es in der Publikation, die Daten aus dem Wohnungsbestand der GdW-Mitgliedsunternehmen auswertet. Hintergrund: Der GdW repräsentiert rund 3.000 kommunale, genossenschaftliche, kirchliche, privatwirtschaftliche, landes- und bundeseigene Wohnungsunternehmen, die zusammen fast 30 % aller Mietwohnungen in Deutschland bewirtschaften.

Hohe Sanierungstiefe unwirtschaftlich

Prof. Müller bestreitet in der 25-seitigen Kurzstudie keineswegs die Notwendigkeit der Vermeidung von CO2-Emissionen im Gebäudebereich. Er hält nur eine flächendeckende energetische Sanierung des deutschen Wohnungsbestandes für den falschen Weg zu diesem Ziel, wenn dabei ambitionierte Gebäudestandards wie das Effizienzhaus 55 (EH 55) als Ziel angestrebt werden.

„Die Studienergebnisse zeigen für den GdW-Bestand, dass von einer finanziellen Vorteilhaftigkeit bei einer flächendeckenden gebäudebezogenen Effizienzsteigerung nicht mehr gesprochen werden kann“, kommentiert GdW-Präsident Axel Gedaschko. „Nutzerseitig geht mit energetisch höherwertigen Standards uneingeschränkt zusätzlicher Komfort einher, kostenseitig übersteigen diese Standards jedoch auch bei hohen Energiepreisen die Warmmietenneutralität bei weitem.“ Mit anderen Worten: Die Sanierungskosten lassen sich durch spätere Einsparungen bei den Energiekosten nicht mehr refinanzieren.

Kurzum: Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es wirtschaftlich fragwürdig und sogar kontraproduktiv wäre, wenn man die flächendeckende Umwandlung von Bestandsgebäuden zu Nullemissionsgebäuden dadurch erzwungen würde, dass man eine sehr hohe energetische Sanierungstiefe vorschreibt. Dies sei wirtschaftlich nicht mehr darstellbar und würde daher die Gefahr bergen, dass auch weiterhin kaum Sanierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Hintergrund: Die Sanierungsquote im deutschen Gebäudebestand stagniert seit langer Zeit bei nur etwa 1 % pro Jahr.

Fokus auf den Ausbau erneuerbarer Energien

Die Studie stellt daher die Frage, ob das Ziel der Vermeidung von CO2-Emissionen im Gebäudebereich nicht verlässlicher und vor allem günstiger erreicht werden kann als mit dem Strategieansatz, das Ordnungsrecht hinsichtlich der Gebäudeeffizienz zu verschärfen beziehungsweise an einer hohen, unwirtschaftlichen Sanierungstiefe festzuhalten.

Prof. Müller jedenfalls kommt zu dem Ergebnis, dass sich Treibhausgasemissionen anders günstiger einsparen lassen, nämlich durch einen verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien im Gebäudebereich. Dadurch ließe sich die gleiche Klimaschutzwirkung erzielen, aber zu geringeren Kosten als bei der flächendeckenden Umsetzung hoher energetischer Baustandards.

Was die künftigen Standards für Nullemissionsgebäude betrifft, hält es Müller im Bereich der bauseitigen Vorgaben für ausreichend, wenn Bestandsgebäude nur auf den Standard „Effizienzhaus 115“ saniert werden. Dann würden sie zwar nicht sehr wenig Heizenergie verbrauchen, aber sie wären zumindest „niedertemperaturfähig“ und damit kompatibel zu erneuerbaren Heiztechniken wie der Wärmepumpe.

Die Frage, wie die Forderung nach Null-Emissionen ohne allzu hohe Sanierungstiefe erreichbar ist, beantwortet die Studie wie folgt: „Die Kombination einer hinreichenden Energieeffizienz verbunden mit einem zusätzlichen Ausbau erneuerbarer Energien ermöglicht in Summe eine gleiche Klimaschutzleistung und ist kostengünstiger sowie zugleich sozialverträglicher als eine ZEB-Definition nach Effizienzhaus 55

„Europa verfolgt die immergleiche Strategie weiter, die zunehmend weniger erfolgreich ist: die Vorgabe von sehr hohen Energieeffizienzzielen und sehr geringem Energie-Restverbrauch von Gebäuden, der erneuerbar gedeckt werden soll“, unterstreicht GdW-Präsident Axel Gedaschko. „Für diese Strategie reichen die Ressourcen nicht – weder an Eigenkapital der sozial orientierten Wohnungsunternehmen noch an Planern und Ausführenden. Auch die Bezahlbarkeit durch die Mieter ist nicht gegeben und staatliche Zuschüsse werden in einer für ein Effizienzszenario nötigen Höhe nicht vorhanden sein.“

Der entscheidende Hebel liege in der klimaneutralen Versorgung der Gebäude mit erneuerbarer Energie, nicht in immer teureren Sanierungen mit immer geringerem Einspareffekt – sagen GdW und Studie unisono.

zuletzt editiert am 10. Mai 2024