RM Rudolf Müller
Versiegelung des ESD-Bodens im Europäischen Weltraumforschungs- und -technologiezentrum.  Foto: Sika Deutschland

Versiegelung des ESD-Bodens im Europäischen Weltraumforschungs- und -technologiezentrum.  Foto: Sika Deutschland

Boden und Wand
29. Oktober 2019 | Artikel teilen Artikel teilen

Was sind ESD-Böden?

Die Abkürzung ESD steht für „Electro Statical Discharge“. Auf Deutsch: elektrostatische Entladung. ESD-Böden sind Beläge, die aufgrund ihres speziellen Aufbaus in der Lage sind, elektrostatische Entladungen kontrolliert abzuleiten. Dadurch werden zum Beispiel elektrische Anlagen geschützt, die auf dem Boden stehen. Wie das funktioniert, erklärt der folgende Beitrag.

Die Elektrostatik ist die Lehre von den ruhenden elektrischen Ladungen. Bekanntlich besteht alle Materie aus Atomen, die wiederum aus elektrisch geladenen Teilchen aufgebaut sind – nämlich positiv geladene Protonen und negativ geladene Elektronen. Das gilt natürlich auch für Bodenbeläge. Normalerweise enthalten die Atome jeweils gleich viele Protonen und Elektronen, sodass sich ihre positiven und negativen Ladungen neutralisieren. Man könnte auch sagen: Sie befinden sich im Ruhezustand.

Wie entstehen elektrostatische Entladungen?

Es kommt aber in der Praxis ständig vor, dass Atome Elektronen verlieren oder zusätzliche Elektronen aufnehmen. Dann sind sie nicht mehr neutral, sondern positiv elektrisch (bei Elektronen-Abgabe) oder negativ elektrisch (bei Elektronen-Aufnahme). Das kann dann zu elektrostatischen Aufladungen beziehungsweise Entladungen führen.

Derartige Prozesse entstehen zum Beispiel durch Reibung. Schon wenn eine Schuhsohle an einem Bodenbelag reibt, wechseln meist Elektronen vom einen zum anderen Material. Dadurch werden beide Materialien elektrostatisch aufgeladen – das eine positiv, das andere negativ. Es entsteht elektrische Spannung, die sich in Form von Funkenbildung zeigen kann.

Ein elektrisch aufgeladener Fußboden ist in manchen Umgebungen aber absolut unerwünscht. Das gilt insbesondere in Bereichen, in denen empfindliche Elektrogeräte stehen, wie zum Beispiel Computerserver, Produktionsmaschinen mit mikroelektronischen Bauteilen oder natürlich auch technische Geräte in einem Krankenhaus. Durch elektrostatische Entladungen des Bodens können derartige Anlagen schwer geschädigt werden. Dafür reichen manchmal schon geringfügige Entladungen. Außerdem können entzündliche Stoffe (Gase, Stäube, Flüssigkeiten) in Brand geraten.

Antistatische Bodenbeläge

Überprüfung der neuen ESD-Bodenbeschichtung mit Dreifußelektrode und Widerstandsmessgerät. Foto: Sika Deutschland

Überprüfung der neuen ESD-Bodenbeschichtung mit Dreifußelektrode und Widerstandsmessgerät. Foto: Sika Deutschland

Aus diesem Grund kommen in solchen Bereichen meist „antistatische“ ESD-Böden zum Einsatz. Diese Industrieböden können elektrostatische Ladungen kontrolliert in die Erde ableiten, sodass es nicht zu gefährlichen Aufladungen kommt. So besteht keine Gefahr für Produktionstechnik oder zum Beispiel die Anlagen eines Rechenzentrums. Da auf solchen Belägen oft sehr schwere Maschinen stehen, müssen die Böden natürlich auch hochbelastbar sein.

ESD-Böden müssen also leitfähig sein, damit sie elektrische Ladungen in die Erde abführen können. In der Praxis gibt es dafür zahlreiche Lösungen – von der Rollenware über Platten bis hin zu flüssig verarbeiteten Bodenbeschichtungen. Im industriellen Bereich kommen oft hochbelastbare und pflegeleichte Kunstharzböden auf Basis von Epoxid-, Polyurethan- oder Acrylharz zum Einsatz. Diese fugenlosen, flüssig verarbeiteten Beläge sind normalerweise aber nicht elektrisch leitfähig. Um das zu ändern, verwendet man Kunstharz mit leitfähigen Zusatzstoffen (Fasern, Pigmente). Solche Produkte kommen in betrieblichen ESD-Schutzzonen häufig zum Einsatz.

Objektbeispiel ESTEC

ESD-Industrieböden haben in der Regel einen mehrschichtigen Aufbau. Wie so etwas in der Praxis aussehen kann, wollen wir anhand eines Objektbeispiels zeigen (siehe Fotos). Das Europäische Weltraumforschungs- und -technologiezentrum ESTEC im niederländischen Noordwijk hat kürzlich eine neue ESD-Bodenbeschichtung erhalten, um die dortigen elektronischen Bauteile und Systeme nachhaltig vor elektrostatischer Entladung zu schützen. Dieser Bodenaufbau im ESTEC wurde mit Produkten des Schweizer Bauchemieherstellers Sika erstellt und besteht aus insgesamt sechs Schichten.

Als unterste Schicht wurde eine Feuchtigkeitssperre direkt auf dem vorhandenen Estrich aufgebracht, gefolgt von einem zweikomponentigen Epoxidharzbindemittel zur Grundierung und Egalisierung. Darauf verlegten die Verarbeiter Kupferleitbänder, die Entfernungen von rund zehn Metern zum Anschlusspunkt der Erdleitung überbrücken. Pro Erdungsanschluss mit verdübelter Grundplatte lassen sich 100 m² Bodenfläche ableiten. Auf den Leitbändern wurde vollflächig ein elektrostatisch hoch ableitfähiges Epoxidharz als Leitfilm aufgerollt („Sikafloor-220 W Conductive“).

Als vorletzte Schicht folgte die elektrostatisch ableitfähige 2K-Verlaufsbeschichtung Sikafloor-3240 ECF auf PUR-Basis. Und als abschließende Versiegelung kam schließlich das Produkt Sikafloor-305 W ESD zum Einsatz. Dabei handelt es sich um eine seidenmatte, zweikomponentige Polyurethanversiegelung mit leitfähigen Pigmenten.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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