RM Rudolf Müller
Auch die CO2-Speicherfähigkeit historischer Kalksandsteine wurde untersucht.  Foto: Bundesverband Kalksandsteinindustrie e.V.

Auch die CO2-Speicherfähigkeit historischer Kalksandsteine wurde untersucht.  Foto: Bundesverband Kalksandsteinindustrie e.V.

Forschung, Technik und Trends
11. November 2021 | Artikel teilen Artikel teilen

Kalksandstein bindet Kohlendioxid

Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen gelten als besonders nachhaltig, weil sie klimaschädliche Treibhausgase binden. Was viele nicht wissen: Auch Kalksandsteine können CO2 aufnehmen. Laut Bundesverband Kalksandsteinindustrie nehmen sie im Laufe der Zeit durch Carbonatisierung mindestens 40 % der bei ihrer Herstellung verursachten Menge an CO2-Emissionen wieder aus der Atmosphäre auf. Das bestätigt der Wissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Middendorf von der Universität Kassel, den der Industrieverband zu dem Thema befragt hat.

Nach Überzeugung des Bundesverbandes Kalksandsteinindustrie beschleunigt die Carbonatisierung die Dekarbonisierung der Kalksandsteinindustrie. Dafür sprechen aktuelle Versuchsreihen zur CO2-Speicherfähigkeit von Kalksandsteinen, die an der Universität Kassel durchgeführt wurden. Federführend war dabei das Fachgebiet „Werkstoffe des Bauwesens und Bauchemie“ am Fachbereich Bauingenieur- und Umweltingenieurwesen.

Dessen Leiter Prof. Dr. Bernhard Middendorf ist auch Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der industrienahen Forschungsvereinigung Kalk-Sand – gleichwohl aber ein unabhängiger Wissenschaftler. Im Interview mit dem Bundesverband erläutert er, was hinter der Carbonatisierung steckt und wie sie der Kalksandsteinindustrie beim Weg in die Klimaneutralität helfen könnte.

Natürliche Reaktion

Prof. Dr. Bernhard Middendorf hat sich detailliert mit der Carbonatisierung befasst. Foto: Universität Kassel

Prof. Dr. Bernhard Middendorf hat sich detailliert mit der Carbonatisierung befasst. Foto: Universität Kassel

Zunächst einmal stellt der Professor klar, dass die natürliche chemische Reaktion der Carbonatisierung nicht nur bei Kalksandsteinen, sondern bei allen zement- und kalkgebundenen Baustoffen vorkommt. „Kalksandsteine verdanken ihre CO2-Speicherfähigkeit dem Bindemittel Branntkalk“, erläutert Middendorf. „Zur Herstellung von Kalksandsteinen werden Branntkalk und Sand im Verhältnis 1:12 gemischt und mit Wasser vermengt. Dabei löscht der Branntkalk zu Kalkhydrat ab. Während der Hydrothermalhärtung in Autoklaven reagiert das Kalkhydrat mit der gelösten Kieselsäure des Sandes zu Calciumsilikathydraten, so genannten CSH-Phasen. Dringt das in der Umgebungsluft vorhandene CO2 während der Nutzungsdauer des Kalksandsteins in seinen Porenraum ein, reagiert es mit der Zeit mit Anteilen der CSH-Phasen zu Calciumkarbonat“. Damit schließt sich letztlich ein Kreislauf, denn natürlicher Kalk ist nichts anderes als Calciumkarbonat.

Um das CO2-Speicherpotenzial von Kalksandsteinen auch beziffern zu können, hat Middendorfs Fachgebiet zwei Versuchsreihen durchgeführt. Der erste Versuchsaufbau bestand aus frisch produzierten Steinen, die in dünne Scheiben gesägt und dann über mehrere Wochen in einer definiert angereicherten CO2-Atmosphäre gelagert wurden. Anschließend wurde ihr Carbonatisierungsgrad bestimmt. Die Analyse der KS-Scheiben erfolgte nach Aussagen von Middendorf „chemisch-mineralogisch mittels Elementaranalysator, Thermoanalyse, Röntgendiffraktometrie und Röntgenfluoreszenzspektroskopie“.

Für den zweiten Teil der Versuchsreihe ließ der Wissenschaftler historische Kalksandsteine anbohren und das Bohrmehl bei einem unabhängigen Prüfinstitut mittels Elementaranalysator untersuchen. Der älteste Stein stammte von 1903.

Zwei Versuchsreihen

Kohlendioxid reagiert mit den kristallinen CSH-Phasen des Kalksandsteins zu Calciumcarbonat (Kalk). Bild: Universität Kassel

Kohlendioxid reagiert mit den kristallinen CSH-Phasen des Kalksandsteins zu Calciumcarbonat (Kalk). Bild: Universität Kassel

Im Rahmen unserer Versuchsreihen wollten wir herausfinden, wie hoch das CO2-Speicherpotenzial von Kalksandsteinen prinzipiell ist und inwieweit sich das Alter von Kalksandsteinen auf die Speicherfähigkeit auswirkt“, erläutert Dr. Bernhard Middendorf. „Nimmt ein 100 Jahre alter Kalksandstein aufgrund seiner längeren Nutzungsdauer mehr CO2 auf als ein 50 Jahre alter Kalksandstein?

Der „Zeitraffer-Carbonatisierungsversuch“ mit den frisch hergestellten Kalksandsteinen hat gezeigt, dass deren CSH-Phasen zu etwa 90 % carbonatisiert wurden. „Rechnet man das auf die Massen hoch, lässt sich ableiten, dass Kalksandsteine prinzipiell rund 50 kg CO2 pro Tonne aufnehmen können“, so Middendorf. Da der ökologische Fußabdruck von Kalksandsteinen laut aktueller Umweltdeklaration (EPD) bei 125 kg CO2 pro Tonne liegt, könne gefolgert werden, dass die Baustoffe während ihres Lebenszyklus rund 40 % des bei ihrer Herstellung entstehenden CO2 wieder aus der Atmosphäre aufnehmen.

Was das Alter der Steine angeht, scheint es so zu sein, dass die 50 kg CO2 pro Tonne meist nach 50 Jahren erreicht sind und die Speichermenge mit fortschreitendem Alter nur noch marginal zunimmt“, erläutert der Professor ein Ergebnis der zweiten Versuchsreihe. Anstriche und Putze würden die natürliche Carbonatisierung verlangsamen, sie aber nicht gänzlich verhindern – entscheidend sei hier die Dampfdichtigkeit der Beschichtung.

Dauerhafte Speicherung

Nach Aussagen von Middendorf haben die Versuche und Analysen auch gezeigt, dass das aufgenommene CO2 chemisch in das kristalline Gefüge der Kalksandsteine eingebunden wird und somit dauerhaft gespeichert bleibt. Dies gelte auch nach Gebäudeabbrüchen und Zweitverwertungen des Materials. Bei zerkleinertem Recyclingmaterial laufe die Carbonatisierung sogar wieder schneller ab, weil eine größere Oberfläche die chemische Reaktion beschleunige.

Übrigens schadet die Carbonatisierung dem Baustoff in keiner Weise. Im Gegenteil: Die Versuchsreihen haben gezeigt, dass sich die Festigkeiten von Kalksandsteinen mit steigender CO2-Aufnahme erhöhen. „Die natürliche Carbonatisierung unterstützt die Dekarbonisierung“, unterstreicht Middendorf. „Wenn ein Teil der bei der Herstellung entstehenden CO2-Emissionen kompensiert wird, verbessert dies die Ökobilanz und hilft dabei, die Klimaziele schneller zu erreichen.


 

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