
Der Gebäudebestand ist ein riesiges Lager für das Urban Mining der Zukunft. Foto: Grimm
Was ist Urban Mining?
Urban Mining („Bergbau in der Stadt“) ist eine relativ junge Begriffsschöpfung, und es sei betont: Sie ist nicht wörtlich zu nehmen. Es geht dabei also nicht um Bergbau im eigentlichen Sinne. Bei Urban Mining als modernes Prinzip im Bauwesen geht es stattdessen darum, den Wert der Sekundärrohstoffe, die in riesigen Mengen in urbanen Abbruchgebäuden stecken, zu erkennen und diese – aufbereitet als Recyclingbaustoffe – verstärkt für den Neubau zu nutzen.
Der Begriff Urban Mining ist also eher ein „augenzwinkerndes“ Kunstwort. Das dahinterstehende Prinzip wirbt für einen neuen Umgang mit dem, was bisher meist – und im wahrsten Sinne des Wortes eher „abfällig“ – als Bauabfall galt. Dabei kann es sich um mineralische Altmaterialien wie Beton, Mauerwerksteine oder Steine und Erden handeln, aber zum Beispiel auch um Holz oder Metalle.
Wenn vom Urban Mining im Bauwesen die Rede ist, geht es nicht darum, dass künftig Bodenschätze vermehrt direkt in Stadtgebieten gefördert werden sollen – zumindest nicht Primärrohstoffe, die sich in der Erdkruste befinden. Die Agenda des „städtischen Bergbaus“ regt vielmehr dazu an, Abbruchgebäude als „anthropogene“ Lagerstätten für langlebige Güter wahrzunehmen, aus denen sich große Mengen wertvoller Sekundärrohstoffe bergen lassen.
Anthropogene Lagerstätten

Diese Porenbetonsteine wurden aus Bauschutt hergestellt (vorne: aus Kalksandstein, hinten: aus Ziegel). Foto: Fraunhofer IBP
Das Umweltbundesamt bezeichnet solche anthropogenen Lager auf seiner Website als eine Schatzkammer für die Deckung künftiger Rohstoffbedarfe. Deutschlands zentrale Umweltbehörde weist an gleicher Stelle zudem darauf hin, dass das Prinzip des Urban Mining nicht auf das Bauwesen beschränkt ist. Es gehe um die Gewinnung von Sekundärrohstoffen aus Gebäuden, Infrastrukturen, Fahrzeugen und anderen langlebigen Gütern. Diese Sekundärrohstoffe sollen im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft wiederverwendet werden. Je mehr das gelingt, umso stärker lässt sich künftig die Ausbeutung von Primärrohstoffen aus natürlichen Lagerstätten begrenzen.
Beim Abriss von Gebäuden oder beim Aufbruch alter Straßenbeläge fallen regelmäßig riesige Mengen an mineralischem Bauschutt sowie Boden- und Steinmaterialien und natürlich auch viele Metalle, Hölzer und Kunststoffe an. Nach Angaben des Monitoring-Berichts „Mineralische Bauabfälle“ werden diese in Deutschland zwar bereits heute größtenteils wiederverwertet, bisher findet allerdings überwiegend ein Downcycling statt: Das Altmaterial fließt meist als Schüttgut in den Straßen- und Erdbau ein, die Herstellung hochwertiger Recycling-Baustoffe ist dagegen bislang noch die Ausnahme.
Nach Angaben des Umweltbundesamtes ist die Produktion von hochwertigen Recycling-Baustoffen zunächst einmal teurer als aufbereitungsärmere Entsorgungsoptionen. Dass die Recycling-Materialien gerade in Zeiten von explodierenden Baustoffpreisen und Versorgungsengpässen eine nicht nur nachhaltige, sondern auch wirtschaftliche Alternative zu Produkten aus Primärrohstoffen sein können, wird in der Branche noch zu wenig gesehen. Das Umweltbundesamt bemängelt in diesem Zusammenhang „das noch immer schlechte Image der Recycling-Baustoffe“.
Doch allmählich scheint ein Umdenken einzusetzen. „Beton ist viel zu wertvoll, um ihn bei Umbau oder Abrissarbeiten auf der Deponie oder im Straßenunterbau zu entsorgen“, findet etwa Thomas Wittmann, Geschäftsführer des Unternehmens Heidelberger Sand und Kies – einem Tochterunternehmen des Baustoffkonzerns Heidelberg Cement. „Stattdessen wollen wir Abrissbeton durch neuartige Verfahren zerkleinern, sortenrein in seine Bestandteile trennen und ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft wieder in den Baukreislauf zurückführen.“
Gebäude-Materialkataster

Die Stadt Heidelberg lässt gerade ein digitales Gebäude-Materialkataster erstellen. Foto: Pixabay
Das Prinzip des Urban Mining im Bauwessen klingt einleuchtend und richtig. Aber wie setzt man sowas in der Praxis um? Aus Sicht des Umweltbundesamtes sollte Urban Mining in Zukunft zu einer „strategischen Bewirtschaftung“ der in unseren Städten lagernden Sekundärrohstoffe führen.
Um die Verwendung von Abbruchmaterialien für neue Recyclingbaustoffe voranzutreiben, wäre es zunächst einmal wichtig zu wissen, welche Art von künftigem Bauschutt an welchem Ort und in welchen Mengen im Gebäudebestand steckt. Für neuere Immobilien liegen derartige Informationen heute in der Regel bereits digital vor, beim riesigen Altbaubestand dagegen ist die Datenlage oft spärlich.
Wie eine zentrale Sammlung solcher Informationen aussehen könnte, demonstriert die Stadt Heidelberg aktuell in ihrem Pilotprojekt „Circular City“. In diesem unter anderem von Heidelberg Cement unterstütztem Vorhaben geht es darum, die bisherigen Informationslücken durch den Aufbau eines digitalen Gebäude-Materialkatasters zu schließen. Das Kataster soll künftig Auskunft darüber geben, welches Material in welcher Qualität und in welcher Menge verbaut wurde.
Den Gebäudebestand einer ganzen Großstadt tatsächlich „physisch“ auf die in ihm schlummernden Baumaterialien hin zu untersuchen, wäre allerdings ein utopisches Unterfangen. Das ist weder personell zu stemmen noch „zerstörungsfrei“ zu realisieren. Schließlich sieht man den Häusern von außen nicht an, was so alles in ihnen verbaut wurde. In Heidelberg geht man deshalb einen anderen Weg: Grundlage für das Kataster bildet der vom Umweltberatungsinstitut EPEA entwickelte „Urban Mining Screener“. Dabei handelt es sich um ein Programm, das anhand von Gebäudedaten wie Bauort, Baujahr, Gebäudevolumen oder Gebäudetyp deren materielle Zusammensetzung schätzen kann.
Die durch den Urban Mining Screener bereitgestellten Schätzdaten sollen in einer Onlinedatenbank des niederländischen Startups Madaster zusammengeführt werden. Diese IT-Plattform ist zugleich in der Lage, die riesigen Datenmengen automatisiert auszuwerten. So wird beispielsweise zu allen gespeicherten Gebäudebestandteilen aufgeführt, wie hoch ihr Kohlenstoffgehalt ist und was sie an der Rohstoffbörse gerade wert sind.
Das Pilotprojekt ist ein wichtiger Baustein in Heidelbergs Klimapolitik. „Bis spätestens 2050 wollen wir klimaneutral werden und den Energiebedarf der Kommune um die Hälfte senken“, sagt der Erste Bürgermeister Jürgen Odszuck. „Das schaffen wir nur, wenn wir uns bereits jetzt mit dem enormen Energie- und Ressourcenverbrauch auseinandersetzen, den Bautätigkeiten verursachen. Urban Mining als eine Art moderner Bergbau in der Stadt kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.“
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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