
Romantische Fachwerkstadt: Im niedersächsischen Celle ist die alte Baukunst noch heute allgegenwärtig. Foto: Pixabay
Klassiker der Baukunst: Renaissance des Fachwerkhauses?
Die „mittelalterliche Altstadt“ ist in Deutschland ein beliebtes Mittel der Standortwerbung. Vor allem Fachwerkhäuser werden von Touristen aus aller Welt bestaunt. Die Menschen finden sie malerisch und romantisch oder einfach nur schön. Viele dieser Gebäude sind über Jahrhunderte erhalten geblieben – wenn auch vielfach saniert. Und mittlerweile gibt es sogar wieder Fachwerk-Neubauten.
Als ältestes Fachwerkhaus Deutschlands gilt ein Gebäude in Esslingen am Neckar, das im Jahr 1262 in der Heugasse 3 errichtet wurde. Überhaupt gilt das 13. Jahrhundert als die Entstehungszeit dessen, was wir heute unter Fachwerkbauten verstehen. Zwar gab es schon lange davor so genannte Pfostenbauten. Darunter versteht man Gebäude, deren Wände aus senkrecht in den Boden gerammten Holzpfosten bestanden, wobei die Zwischenräume mit einer Mischung aus Lehm, Stroh und Holzgeflechten verfüllt wurden. Das Problem: Durch den Kontakt zum Erdreich verfaulten derartige Pfosten schnell, sodass solche Bauten selten länger als 30 Jahre überlebten.
Dauerhaftes Fundament
Diese Kurzlebigkeit der Holz-Lehm-Bauten änderte sich erst im Hochmittelalter mit der Erfindung des Fachwerkhauses. Eine entscheidende Neuheit war damals, dass die Wandpfosten nun nicht mehr im Erdreich verankert wurden. Stattdessen errichtete man die Gebäude auf einem Fundament aus Stein oder waagerechten Schwellhölzern.
Der Verzicht auf die Erdverankerung der Pfosten machte weitere Neuerungen notwendig. Um die Stabilität des Holzgerüsts zu gewährleisten und zu verhindern, dass das Gebäude durch horizontale Windlasten einstürzt, begann man nun, die Konstruktion zusätzlich auszusteifen. So entstand das bekannte Fachwerkgerüst mit vertikalen Pfosten, horizontalen Schwellen (auch Rähm, Riegel oder Pfette genannt) und schräg stehenden Streben.
Strohlehm oder Ziegelsteine

Fachwerk mit Füllung aus Lehm und Holzgeflechten. Foto: Thomas Max Müller / www.pixelio.de
Diese Bauweise breitete sich vor allem in Deutschland, aber auch in anderen europäischen Ländern rasch aus. Die Zwischenräume zwischen den Holzpfosten, -schwellen und -streben bezeichnete man nun als Gefache. Daher leitet sich der Name Fachwerkhaus ab. Die Gefache füllte man anfangs weiterhin mit Strohlehm und Holzgeflechten und verputzte sie abschließend auf beiden Wandseiten. Lehm war im Mittelalter einfach einer der wenigen günstigen Baustoffe und zudem fast überall vor Ort verfügbar. Für Mauersteine galt das damals nicht.
Mit Beginn der Industrialisierung und zunehmender Verfügbarkeit gebrannter Ziegelsteine wurden die Gefache auch immer häufiger ausgemauert. Zumindest machten das die wohlhabenderen Bürger, die es sich leisten konnten. So entstand die auch heute noch beliebte Mischform aus Holz-Fachwerk und massivem Steinbau. Ganz egal aber, ob die Gefache mit sichtbarem Mauerwerk oder verputzter Lehmfüllung ausgeführt wurden, stets achtete man darauf, dass das hölzerne Fachwerkgerüst sichtbar blieb. Dieses ist schließlich das Markenzeichen der Bauweise, und es hat entscheidenden Anteil an ihrem optischen Reiz.
Geschoss- und Stockwerkbauweise
Fachwerk gehört zu den Skelettbauweisen und war in Europa der Vorläufer der heutigen Holzrahmenbauweise. Anfangs wurden diese Bauten noch in so genannter Geschossbauweise errichtet – auch Ständerbauweise genannt. Bei dieser verlaufen die vertikalen Holzständer noch ohne Unterbrechung vom Gebäudesockel bis zur Dachtraufe. Nachteil: Die Höhe der Häuser war durch die verfügbare Baumstamm-Länge begrenzt.
Ab dem 14. Jahrhundert setzte sich dann aber zunehmend die Stockwerkbauweise durch. Hier haben die Ständer oder Pfosten jeweils nur die Höhe eines Stockwerks und werden an ihrem oberen Ende durch Querbalken verbunden. Die Wände eines Fachwerkstockwerks bestehen damit aus einem Holzrahmen, der sich aus vertikalen Ständern, horizontalen Balken sowie aussteifenden Streben zusammensetzt. Das erhöht einerseits die Stabilität der Konstruktion und macht andererseits den Bau höherer Gebäude möglich, in dem man mehrere Stockwerkwände übereinanderstellt und miteinander verbindet.
Neubau von Fachwerkhäusern

Mit Ziegelsteinen ausgemauerte Gefache. Foto: Sandro Almir Immanuel / www.pixelio.de
Fachwerkhäuser gelten als zeitlos schön und stehen für Tradition und alte Handwerkskunst. Nicht umsonst sind mittelalterliche Altstädte überall denkmalgeschützt. Sie gelten als wertvolle, erhaltenswerte Kulturgüter. Dass der Erhalt über Jahrhunderte auch Sanierungsmaßnahmen einschließt, dass also ein Großteil der Bausubstanz im Laufe der Zeit irgendwann mal ausgetauscht wurde – also nicht mehr „original“ ist – versteht sich von selbst. Das ist letztlich unvermeidlich und kein Problem, solange die ursprüngliche Optik nicht verfälscht wird.
Nicht immer aber sind Fachwerkhäuser automatisch historische Bauten. Besonders in Gegenden mit großer Fachwerktradition – wie zum Beispiel in Niedersachsen – gibt es heute wieder vermehrt Bauherren, die ganz neue Fachwerkhäuser errichten. Warum auch nicht? Schließlich erhält man auf diese Weise ein werthaltiges Haus mit sehr individueller Optik, das zudem nur eine relativ kurze Bauzeit von etwa acht Monaten erfordert. Wobei Fachwerk-Neubauten heute meist einen hohen „Steinanteil“ haben – die Gefache werden meist ausgemauert.
Zugegeben: Der Fachwerk-Neubau ist ein Nischenmarkt, der aber in den letzten Jahren gewachsen ist. Wer im Internet die Suchbegriffe „Fachwerk“ und „Neubau“ eingibt, findet schnell zahlreiche Baufirmen, die sich in diesem Segment spezialisiert haben. Trotz ihrer traditionellen Optik stehen moderne Fachwerkhäuser übrigens nicht im Gegensatz zu den Anforderungen der Energieeinsparverordnung. Schließlich lassen sich Holzrahmenwände gut dämmen. Man kann problemlos Energiesparhäuser und sogar Plusenergiehäuser in Fachwerkbauweise errichten.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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