RM Rudolf Müller
Titandioxidpulver: Der Naturfarbenhersteller Kreidezeit verzichtet schon heute auf das Weißpigment.  Foto: Kreidezeit

Titandioxidpulver: Der Naturfarbenhersteller Kreidezeit verzichtet schon heute auf das Weißpigment.  Foto: Kreidezeit

Bauchemie
21. Februar 2023 | Artikel teilen Artikel teilen

Wie gefährlich ist Titandioxid?

Die Verbindung Titandioxid galt lange als harmlos. Das Weißpigment steckt aufgrund seiner Eigenschaften in zahllosen Lebensmitteln, Kosmetikgütern und Medikamenten, aber auch in Baustoffen, Kunststoffen und in den meisten Farben. Doch seit ein paar Jahren gibt es Gegenwind aus Brüssel. Die Europäische Union hat nämlich Titandioxid in Pulverform als potenziell krebserregend eingestuft. Die Hersteller widersprachen vehement und klagten gegen die Einstufung – mit Erfolg.

Das geruchlose und geschmacksneutrale Element Titandioxid ist eigentlich ein Naturstoff. Es entsteht nämlich ganz von selbst, wenn das Metall Titan mit dem Sauerstoff der Luft zu TiO2 oxidiert. In der Natur sind die Moleküle aber normalerweise in Erdgesteinen oder Sanden gebunden. Doch der Mensch gewinnt reines Titandioxid schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts im Labor. Der weiße, pulverförmige Stoff wird aufgrund seiner besonderen Eigenschaften in großen Mengen künstlich hergestellt.

Superweißes Aufhellmittel

Die mit Abstand häufigste Verwendung von TiO2 ist bis heute der Einsatz als hoch deckendes Farbpigment. Anwendungsbeispiele sind neben Farben, Lacken, Putz und Mörtel auch Kunststoffe (zum Beispiel Fensterrahmen) und Papier. Titandioxid findet man aber auch in Kosmetika, Zahnpasta, Sonnenschutzmitteln, Medikamenten und sogar in vielen Lebensmitteln.

Die Substanz eignet sich perfekt, um andere Stoffe aufzuhellen. Titanweiß gilt als das „weißeste Weiß“ der Welt. Aber auch in bunten Farben wird der Stoff häufig noch beigemischt – in diesem Fall aufgrund seiner lichtreflektierenden Eigenschaften. Für Kosmetika schätzt man Titandioxid zudem als Verdickungsmittel und UV-Schutzmittel.

Ob ein Produkt TiO2 enthält, kann man in der Regel den Angaben auf der Verpackung entnehmen. Doch nicht immer steht dort „Titandioxid“. In Lebensmitteln findet man eher das Kürzel E171, bei Kosmetika heißt es meist CI 77891. Im Farbenbereich wiederum hat sich die Bezeichnung Pigment White 6 etabliert (PW6).

Baustoffbeschichtungen

Photokatalyse: Titandioxid auf Dacheindeckungen wandelt Stickoxide (NOx) in unschädliche Nitrate (NO3) um. Grafik: Eternit

Photokatalyse: Titandioxid auf Dacheindeckungen wandelt Stickoxide (NOx) in unschädliche Nitrate (NO3) um. Grafik: Eternit

Im Baustoffbereich verwendet man für einige Anwendungen Titandioxid-Nanopartikel. Dabei handelt es sich um winzige Teilchen von maximal 100 Nanometer Größe. Das entspricht dem millionsten Teil eines Millimeters. Diese Titandioxid-Nanopartikel werden unter anderem in photokatalytisch wirksamen Beschichtungen für Pflastersteine und Dachpfannen eingesetzt, aber auch als Beimischung in Fassadenputzen und -farben kommen sie zum Einsatz.

Dank TiO2 sind die Baustoffe in der Lage, Luftschadstoffe abzubauen. Hier macht man sich die Eigenschaft der winzigen Partikel zunutze, bei Sonneneinstrahlung zum Beispiel mit Stickoxiden zu reagieren und diese dadurch in harmlose Salze (Nitrate) umzuwandeln. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer Photokatalyse, weil die chemische Reaktion durch Licht ausgelöst wird.

Da die Botschaft von den luftreinigenden Baustoffen natürlich eine gute Marketing-Story abgibt, haben sich in den letzten Jahren viele Hersteller entschieden, TiO2-Nanomaterial in ihren Produkten zu verwenden. Mittlerweile gibt es auch Fliesen mit Titandioxid-Oberfläche, die nach Herstellerangaben in der Lage sind, Bakterien abzutöten.

Potenziell krebserregend?

Doch über der positiven Marketing-Story liegt ein Schatten, seit die TiO2-Industrie kräftigen Gegenwind aus Brüssel bekommen hat. Mit der im Februar 2020 veröffentlichten EU-Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen (CLP) hat die Europäische Union nämlich bestimmte Formen des Weißpigments als potenziell krebserregenden Gefahrstoff eingestuft. Diese Einstufung bedeutet nicht, dass der Stoff verboten wäre. Sie macht nur bei bestimmten Produkten einen Warnhinweis notwendig.

Ein generelles Verbot hat die EU dagegen mittlerweile für Titandioxid in Lebensmitteln verhängt. Genauer gesagt gilt es für TiO2 als Lebensmittelzusatzstoff (E171) und wurde im Sommer 2022 rechtskräftig. Das Verbot beruht auf einem wissenschaftlichen Gutachten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Dieses kam zu dem Schluss, dass für TiO2 als Lebensmittelzusatzstoff nicht ausgeschlossen werden könne, dass es zu genetischen Veränderungen an menschlichen Zellen führt.

Auch dieses Verbot basiert keinesfalls auf der gesicherten Erkenntnis, dass TiO2 in Lebensmitteln gesundheitsschädigend für Menschen sei. Die Argumentation der EFSA argumentiert vielmehr andersherum: Weil derzeit nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Konsum von E171 schädigende Einflüsse auf menschliches Erbgut haben könnte, wurde die Substanz in Lebensmitteln vorsorglich verboten.

Doch zurück zur generellen Einstufung von Titandioxid als potenziell krebserregenden Stoff. Diese stieß von Anfang an auf scharfe Kritik seitens der Titanium Dioxide Manufacturers Association (TDMA). Dabei handelt es sich um die europäische Interessenvertretung der wichtigsten TiO2-Hersteller. Der Herstellerverband hatte im Mai 2020 beim Gericht der Europäischen Union eine Nichtigkeitsklage gegen die Einstufung eingereicht. Im November 2022 hat das Gericht entschieden – und zwar zugunsten der TDMA. Dem Urteil zufolge hat die Europäische Union Titandioxid in Pulverform zu Unrecht als potenziell krebserregend eingestuft.

Nur TiO2-Pulver betroffen

Der Zusatz „in Pulverform“ ist wichtig, denn nur darum geht es eigentlich. Die EU-Verordnung hatte Titandioxid nämlich nur dann als krebsverdächtige Substanz einstuft, wenn es in Pulverform eingeatmet wird. Genauer gesagt, bezog sich die Verordnung nur auf TiO2-haltige Pulvermischungen, sofern sie mindestens 1 % TiO2-Partikel enthalten und diese Partikel sehr klein sind.

Gefahr kann von den Teilchen nur dann ausgehen, wenn sie lungengängig sind. Das ist nur bei einem Durchmesser bis maximal 0,01 mm der Fall. Die EU-Einstufung betonte zudem selbst, dass die vermutete Gefahr nur auftreten kann, wenn Titandioxidpulver in hohen Konzentrationen über einen langen Zeitraum eingeatmet wird.

In den meisten Produkten, einschließlich Farben und Kunststoffen, sei TiO2 aber im Endprodukt gebunden und es bestehe daher „fast keine Gefahr“, dass es eingeatmet wird – argumentiert der Herstellerverband TDMA auf seiner Homepage. Die Verwendung von Titandioxid in Verbraucheranwendungen unterliege zudem strengen Tests und Normen.

Das Gericht der Europäischen Union hat sich der Argumentation der Hersteller nun im Prinzip angeschlossen. Die EU habe bei ihrer Einstufung Fehler gemacht und insbesondere falsche Schlussfolgerungen aus einer Studie zum Thema gezogen. Die Einstufung von pulverförmigem Titandioxid als potenziell krebserregend ist damit zunächst einmal vom Tisch. Am geltenden Verbot von Titandioxid in Lebensmitteln ändert das Gerichtsurteil allerdings nichts.

Dieser Text ist eine Aktualisierung des BaustoffWissen-Beitrags „Titandioxid – plötzlich gefährlich?“ von Oktober 2020.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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