RM Rudolf Müller
Auf dieses Seil wirkt gerade eine Zugkraft. Foto: Pixabay

Auf dieses Seil wirkt gerade eine Zugkraft. Foto: Pixabay

 
Bauphysik
14. Dezember 2017 | Artikel teilen Artikel teilen

Was bedeutet Zugfestigkeit bei Baustoffen?

Ein Baustoff ist – wie jeder andere Körper auch – umso fester, je mehr Widerstand er seiner Zerstörung entgegensetzt. Die Festigkeit beschreibt also, wie stark die jeweiligen Materialien den von außen einwirkenden Kräften standhalten können, bevor es zum Materialversagen kommt. Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff Zugfestigkeit?

In Gebäuden wirken ganz unterschiedliche Arten von Kräften auf die verbauten Baustoffe ein. Neben Zugkräften gibt es unter anderem Druckkräfte. Die Widerstandfähigkeit der Baustoffe gegen derartige Krafteinwirkungen bezeichnet man als deren Druckfestigkeit oder eben Zugfestigkeit.

Eine hohe Druckfestigkeit bedeutet, dass das Material auch dann nicht nachgibt, wenn schwere Lasten auf den Baustoff drücken. Gebäudefundamente müssen zum Beispiel sehr druckfest sein, da sie das Gewicht des aufragenden Gebäudes tragen. Die Druckfestigkeit wird gemessen in Newton pro Quadratmillimeter (N/mm²). Die Maßeinheit steht in diesem Fall für die maximale mögliche Druckspannung, der das Material pro Quadratmillimeter noch standhält, bevor es bricht.

Wirkungsweise von Zugkräften

Während sich die Druckfestigkeit auf äußere Kräfte bezieht, die in Richtung eines Baustoffs oder sonstiger Körper wirken, geht es bei der Zugfestigkeit um das Widerstandsvermögen gegenüber Kräften, die am Material ziehen, also von ihm weggerichtet sind. Die ohne Materialbruch maximal mögliche Zugspannung misst man ebenfalls in Newton pro Quadratmillimeter (N/mm²).

Wichtig ist nun zu wissen, dass die Festigkeit eines Baustoffs keine einzelne, fixe Größe ist, sondern sich je nach Art der einwirkenden Kraft stark unterscheiden kann. Das lässt sich gut am Beispiel des Baustoffs Beton erklären. Der Kunststein ist ausgesprochen druckfest, aber nur wenig zugfest. Die Faustformel lautet, dass die Zugfestigkeit von Normalbeton nur etwa 10 % seiner Druckfestigkeit ausmacht.

Während zu starke Druckkräfte bewirken, dass ein Baustoff zusammengedrückt beziehungsweise gestaucht wird, kann durch Zugkräfte eine Dehnung des Materials erfolgen. Ist die äußere Kraft größer als die Zugfestigkeit des Baustoffs, verformt sich dieser häufig zuerst und bricht schließlich. Jeder Körper hält eben nur eine bestimmte maximale Zugspannung aus, bevor es zu Materialversagen kommt. Stahl erträgt zum Beispiel relativ hohe Zugspannungen, weitaus höhere als Beton. Bei steigender Krafteinwirkung dehnt sich das Metall zunächst noch eine ganze Weile in Zugrichtung aus, bevor es tatsächlich bricht.

Planung der Gebäudestatik

Bei der Planung der Gebäudestatik muss vorab bedacht werden, welche Krafteinwirkungen auf die einzelnen Gebäudeteile einwirken können. Darauf basierend sind dann für die unterschiedlichen Bereiche Baustoffe auszuwählen, die genügend Widerstand gegen die voraussichtlichen Krafteinwirkungen bieten.

Wo hohe Zugkräfte zu erwarten sind, darf dann zum Beispiel kein reiner Beton verbaut werden. Stattdessen verwendet man häufig Beton mit zusätzlichen Stahlbewehrungen, also Stahlbeton. Der zur Bewehrung verwendete Stahl nimmt Zugkräfte auf, die auf das Stahlbetonbauteil wirken. Somit führen diese nicht zur Zerstörung des Betons, sondern werden schadlos im Metall abgeleitet. Vorausgesetzt natürlich, die Zugkräfte sind nicht größer als die Zugfestigkeit des Stahls. Dann bricht auch Stahlbeton.

Zugfestigkeiten verschiedener Baustoffe

Metalle verbiegen sich und brechen erst, wenn die Zugkraft zu groß wird. Foto: Pixabay

Metalle verbiegen sich und brechen erst, wenn die Zugkraft zu groß wird. Foto: Pixabay

Und wie groß ist nun die Zugfestigkeit bei verschiedenen Baustoffen? Pauschal lässt sich das leider gar nicht beantworten. Es gibt schließlich nicht den Beton oder den Stahl, sondern viele unterschiedliche Sorten und Festigkeitsklassen. Auch bei anderen Baustoffen wie etwa Holz, Glas oder Kunststoff kann die Zugfestigkeit nicht pauschal angegeben werden, sondern letztlich nur als konkreter Wert eines bestimmten Produktes.

Bei Beton schwankt die Zugfestigkeit je nach Festigkeitsklasse zwischen 1 und 5 N/mm². Auch die unterschiedlichen Glassorten weisen deutlich voneinander abweichende Zugfestigkeiten auf. Für normales Glas liegt der Wert bei 30 N/mm², bei Einscheiben-Sicherheitsglas sind es 50, bei Plexiglas sogar 75 N/mm². Diese Werte gelten allerdings nur für zeitlich begrenzte Belastungen. Wirkt eine Zugkraft dagegen dauerhaft auf eine Glasfläche, darf die Zugspannung maximal 7 N/mm² betragen. Das ist immerhin noch deutlich mehr als bei den meisten Betonsorten.

Zugfester als Beton ist auch Holz, zumindest wenn die Belastung parallel zu den Holzfasern erfolgt. Je nach Holzart liegt der Wert für die Zugfestigkeit dann meist irgendwo zwischen 40 und 160 N/mm². Die Zugfestigkeit senkrecht zur Faser beträgt dagegen nur etwa 10 % der Längszugfestigkeit. Deshalb wird bei der Bauplanung für Holzhäuser darauf geachtet, dass Zugspannungen senkrecht zu den Fasern möglichst gar nicht erst auftauchen.

Stahlbeton hat in der Regel eine Zugfestigkeit von mehr als 400 N/mm². Wie oben bereits erläutert liegt das nicht am Beton, sondern am Stahl. Einfacher Baustahl erreicht normalerweise Werte zwischen 300 und 500 N/mm², seltener auch mehr. Hochfester Spannstahl wiederum bietet Zugfestigkeiten von weit über 1.000 N/mm².

Die Zugfestigkeiten der unterschiedlichen Kunststoffe sind dagegen deutlich geringer. An dieser Stelle nur zwei Beispiele zum Vergleichen: Für PVC (Fensterrahmen, Rohre) liegt der Wert bei 65 und für Polyethylen (Baufolien) bei 24 N/mm². Deutlich höhere Zugfestigkeiten im dreistelligen Bereich erreicht dagegen glasfaserverstärkter Kunststoff (GFK).


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Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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