
Fertig zum Verputzen: An die Wand getackerte Schilfrohrmatten mit zusätzlichen Heizschlaufen. Foto: Hiss Reet
Was sind Schilf-Putzträger?
Schilf ist ein Naturprodukt, das an den Ufern flacher Gewässer wächst. Im getrockneten Zustand werden die robusten Pflanzenhalme schon seit Jahrtausenden zur Eindeckung traditioneller Reetdächer verwendet. In vielen historischen Gebäuden sowie im modernen Ökobau spielt Schilf aber auch noch an anderer (unsichtbaren) Stelle eine tragende Rolle: als stabilisierendes Gewebe in Unterputzen.
Der oft zu hörende Begriff Schilfgewebe vermittelt eigentlich einen falschen Eindruck. Unter einem Gewebe stellt man sich einen Stoff aus feinen Fäden vor. Beim Schilfgewebe handelt es sich dagegen um eine Matte aus getrockneten Pflanzenhalmen, die immerhin zwischen fünf und zehn Millimeter dick sind. Das Wort Schilfrohrgewebe passt daher eigentlich besser. Oder man lässt den Ausdruck „Gewebe“ gleich ganz weg und spricht von einer Putzträgermatte. Auch der Begriff Schilfstuckatur ist gebräuchlich.
Die im Fachhandel als Rollenware erhältlichen Unterputzmatten werden aus 70 bis 80 Halmen (Stängeln) pro laufendem Meter zusammengebunden. Als verbindendes Element für die waagerecht angeordneten Schilfrohre kommt meist verzinkter Draht zum Einsatz. Im Übrigen gibt es für Garten und Balkon auch Sicht- und Sonnenschutzmatten aus Schilfrohr. Bei diesen Produkten ist die Anzahl der Stängel pro laufendem Meter allerdings höher.
Typische Einsatzbereiche

Die Matten werden als Rollenware geliefert. Foto: Hiss Reet
Bevor es Bewehrungsmatten beziehungsweise Armierungsgewebe aus Metall oder kunststoffummantelter Glasfaser gab, war Schilfgewebe ein verbreitetes Putzträgermaterial. Heute findet man es vorrangig als historischen Baustoff in der Denkmalpflege. Außerdem wird der alternative Putzträger aus nachwachsenden Rohstoffen von ökologisch denkenden Bauherren geschätzt – vor allem im Lehmbau.
Prinzipiell sind die Matten sowohl im Innen- als auch im Außenbereich einsetzbar. Da sie aber meist zusammen mit den klassischen Innenputzen auf Lehm-, Kalk- oder Gipsbasis verarbeitet werden, erfolgt die Anwendung letztlich doch überwiegend in Innenräumen. In Verbindung mit Kalkputzen ist grundsätzlich natürlich auch eine Anwendung im Außenbereich – zum Beispiel an der Fassade – möglich. Lehm- und Gipsputze sind dagegen zu feuchteempfindlich für Bauteile, die einer regelmäßigen Bewitterung ausgesetzt sind.
Das Schilfgewebe kommt vor allem bei glatten Untergründen zum Einsatz, auf denen dickere Putzschichten ohne Bewehrung leicht abfallen könnten. Das ist zum Beispiel bei Holzschalungen, Holzbalken, OSB-Platten und Gipskartonplatten der Fall. Anders als das Armierungsgewebe einer WDVS-Fassade, das man in den frischen Putz nur lose einlegt, wird der Schilf-Unterputzträger zunächst am Untergrund befestigt und dann erst überputzt.
Konstruktion der Matten

Der Bindedraht ist um die einzelnen Halme und den Spanndraht gewickelt. Foto: Hiss Reet
Auch Deutschlands größter Schilfrohrhändler, das Bad Oldesloer Unternehmen Hiss Reet, bietet natürlich Putzträgergewebe aus Schilf an. Für das Verputzen einer einfachen Wand empfiehlt der Hersteller das 70-stängelige Standardgewebe. Für höhere Anforderungen – etwa beim Verputzen von Dachschrägen, Rundungen oder Decken, gibt es auch dichtere Gewebe mit 75 bis 80 Halmen pro laufendem Meter.
Die Premiummatte „Hiss Reet Gewebe Extra“ besteht aus besonders stabilen und geraden Halmen türkischer Herkunft mit bis zu 1 cm Durchmesser. Der Abstand zwischen den einzelnen Halmen beträgt (je nach Produkt) zwei bis fünf Millimeter. Nach Angaben von Hiss Reet erkennt man minderwertiges Schilfrohrgewebe unter anderem daran, dass halbe und abgebrochene Halme verwendet wurden, die zudem meist sehr brüchig sind und eine graue Färbung aufweisen.
Zusammengehalten werden die Stängel durch verzinkte Drähte. Auch hier gibt es Qualitätsunterschiede. Minderwertigere Drähte haben eine dünnere Verzinkungsschicht und sind dadurch rostanfälliger. Funktional verfügen die Matten über zwei unterschiedliche Drahtarten: Der dünnere Bindedraht ist sowohl um die einzelnen Halme als auch um den etwas dickeren Spanndraht gewickelt (siehe Foto). Letzterer wird auch als Laufdraht bezeichnet.
Verarbeitung
Die Fixierung der Matten erfolgt meist mithilfe von verzinkten Klammern, die am Laufdraht befestigt und am Untergrund angetackert werden. Das Gewebe ist so zu verlegen, dass der Laufdraht in Richtung des Verarbeiters zeigt. Die oberen und unteren Enden der Drähte werden nach der Verlegung miteinander verdreht, sodass die Gewebebindung später nicht mehr aufgehen kann.
Beim Verputzen wird die Mörtelmasse zwischen die Schilfhalme gedrückt, sodass eine feste Verkrallung zwischen Putz und Matte erfolgt. Die hohe Biegefestigkeit der Schilfrohre sorgt für ein stabiles Tragvermögen auch bei dicken Putzschichten. Die Klammerbefestigung verstärkt die Haftzugfestigkeit des Putz-Schilf-Verbunds.
Der Putzauftrag erfolgt mehrlagig in Schichtdicken von maximal 15 mm. Vor dem Auftrag jeder neuen Schicht muss die Oberfläche der daruntergelegenen Schicht komplett trocken sein. Die Anzahl der Schichten variiert in der Praxis – je nach gewünschter Unterputzstärke. In die letzte Schicht kann der Verarbeiter gegebenenfalls noch ein zusätzliches Armierungsgewebe einlegen. Als Finish folgt ein dekorativer Oberputz, der bei Bedarf auch gestrichen werden kann.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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