RM Rudolf Müller
Auch 2017 wird weiter gedämmt: Dieser Wohnblock in Essen wartet nicht mehr lange auf sein WDVS. Foto: Grimm

Auch 2017 wird weiter gedämmt: Dieser Wohnblock in Essen wartet nicht mehr lange auf sein WDVS. Foto: Grimm

Dämmstoffe
06. April 2017 | Artikel teilen Artikel teilen

WDVS: Geschichte der Wärmedämm-Verbundsysteme

Bei einem nicht gedämmten Haus geht ein großer Teil der Heizwärme über die Außenwände verloren. Die Außendämmung von Fassaden ist deshalb ein effektives Mittel, um Energieverluste zu minimieren und Heizkosten zu sparen. Kein Wunder also, dass Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS) heute weit verbreitet sind. Dabei ist die Technik gerade mal 60 Jahre alt. Ein Rückblick.

Ende 1957 wurde in Deutschland am Wohnhaus eines Malermeisters in Berlin-Dahlem das erste WDVS angebracht. Heute kommen nach Schätzungen des Fachverbandes WDVS jedes Jahr etwa 35 bis 40 Millionen m² Gebäudefassaden hinzu (Der Verband existiert heute nicht mehr. Er ist im Mai 2017 aufgegangen im neuen Verband VDPM). In den letzten Jahren mögen kritische Medienberichte über das Brandverhalten von WDVS – stets bezogen auf den am häufigsten eingesetzten Dämmstoff EPS – das Wachstum verringert haben, das ändert aber nichts daran, dass WDVS vor allem im Mietwohnungsbau heute die Fassadenoptik in den Städten maßgeblich prägt.

Trendwende in den 1970er-Jahren

Von derartigen Zahlen konnte die Branche lange Zeit nur träumen. Die WDVS-Premiere vor 60 Jahren löste nämlich keinesfalls einen schnellen Boom aus. In der Bundesrepublik der 50er- und 60er-Jahre dachte man beim Hausbau nicht unbedingt zuerst ans Energiesparen. Und auch die Politik hatte das Thema damals noch nicht für sich entdeckt. Eigentlich waren es erst die steigenden Energiepreise im Zuge der Ölkrise von 1973/74, die das gesellschaftliche Bewusstsein dafür schärften, dass die in Gebäuden erzeugte Wärme Kosten verursacht und man sie daher nicht einfach gedankenlos verschwenden sollte. Jetzt wurde Dämmen allmählich zum ernsthaften Thema in der Baubranche.

Nach Angaben des Fachverbandes WDVS stellte die Ölkrise Bauherren, Hausbesitzer und Industrie vor völlig neue und überraschende Herausforderungen, was in der Folge zum Durchbruch für WDV-Systeme im großen Umfang führte. Man begann nun zunehmend, die Fassaden von Altbauten nachträglich zu dämmen. Und auch die Politik reagierte mit gesetzlichen Vorgaben zur Gebäudedämmung. 1977 wurde die erste Wärmeschutzverordnung eingeführt, der Vorgänger der 2002 in Kraft getretenen ersten Energieeinsparverordnung (EnEV). Jetzt ging es auf einmal nicht mehr bloß um Mindestanforderungen an den Wärmeschutz. Die Dämmung der Gebäudehülle wurde für Neubauten gesetzlich verpflichtend, und die energetischen Anforderungen stiegen mit jeder Novelle der EnEV.

Auf Grundlage des neuen Energiekosten-Bewusstseins und der veränderten Gesetzeslage wuchs der Markt für Fassadendämmungen ab der zweiten Hälfte der 70er-Jahre schnell. Während es in den ersten 20 Jahren der WDVS-Geschichte meist nur vereinzelte Besitzer von Ein- und Zweifamilienhäusern waren, die sich mit der neuen Technik beschäftigten, begannen sich nun auch größere Unternehmen der Wohnungswirtschaft für das Thema zu interessieren. Bereits 1979 wurden in Deutschland erstmals 30 Millionen Quadratmeter WDV-Systeme vorwiegend im Wohnungsbau verlegt.

Eingesetzte Dämmstoffe

Aufpolierter Altbau: Hinter der Fassade dieses Wohnblocks steckt ein brandneues WDV-System. Foto: Knauf

Aufpolierter Altbau: Hinter der Fassade dieses Wohnblocks steckt ein brandneues WDV-System. Foto: Knauf

In mehr als 80 Prozent der in Deutschland verbauten WDV-Systeme steckt heute EPS (Styropor) als Hauptdämmstoff. Hinzu kommen die vorgeschriebenen Brandriegel, die meist aus nicht brennbarer Mineralwolle bestehen. Die Vorherrschaft von Styropor an der Fassade hängt mit dem günstigen Preis zusammen, aber auch damit, dass das Material stabil, wasserresistent, von geringem Gewicht und einfach zu bearbeiten ist. Alles Eigenschaften, die für den Einsatz an der Fassade von Vorteil sind. Und natürlich dämmt EPS auch ziemlich gut. Bis Mitte der 1970er-Jahre hatte Styropor faktisch ein Monopol im WDVS-Markt. Erst 1975 kam das erste System mit Mineralwolle als Flächendämmstoff auf den Markt.

Durch die Einführung der EnEV 2002 und der mittlerweile zahlreichen Verordnungs-Novellierungen (2004, 2007, 2009, 2014) sind die energetischen Anforderungen an Gebäudehüllen in den letzten 15 Jahren Schritt für Schritt immer weiter gestiegen. Das hat nicht zuletzt zu einer Zunahme der Dämmstoffdicke geführt. Frühe WDVS verfügten über Dämmstoffschichten von meist nur 2 bis 5 cm Stärke. Auch solche Konstruktionen bewirkten für damalige Verhältnisse eine deutliche Energieersparnis, gleichwohl sind die energetischen Anforderungen an die Gebäudefassade seitdem deutlich gestiegen. Heute liegen die Dämmstärken in der Regel deutlich im zweistelligen Zentimeterbereich – meist irgendwo zwischen 10 und 20 cm. Beim Einsatz von EPS empfiehlt der Fachverband WDVS eine maximale Dämmstoffdicke von 30 cm, da bei größeren Stärken die Brandlast zu hoch wird.

Natürlich besteht ein WDV-System nicht nur aus Dämmstoff, sondern aus mehreren, aufeinander abgestimmten Baustoffschichten. Deshalb spricht man ja von einem System. Wie dieses typischerweise aufgebaut ist, erfahrt ihr hier.

Dauerhaftigkeit der Systeme

Mineralwolle als Dämmstoff: Verklebung von Steinwolle-Lamellen als WDVS-Bestandteil. Foto: Rockwool

Mineralwolle als Dämmstoff: Verklebung von Steinwolle-Lamellen als WDVS-Bestandteil. Foto: Rockwool

Der Fachverband WDVS schrieb 2007 in einer Pressemitteilung zum 50-jährigen Jubiläum der Wärmedämm-Verbundsysteme, dass sich diese seit Jahrzehnten in der Praxis bewährt hätten. Nun sind die Mitglieder des Verbandes die führenden Hersteller von WDV-Systemen im deutschsprachigen Raum sowie Unternehmen der Zulieferindustrie. Da darf man keine allzu kritischen Töne erwarten.

Trotzdem kann festgestellt werden, dass sich die frühen Zweifel an der Haltbarkeit der Systeme bisher nicht bestätigt haben. Weder fallen WDVS-Fassaden in nennenswerter Anzahl von der Außenwand ab noch blättert der Außenputz ungewöhnlich stark ab. Auch der anfangs befürchtete Feuchtestau hinter der Dämmung blieb aus. WDV-Systeme haben sich in ihrer bisherigen Geschichte als erstaunlich dauerhaft erwiesen.

Das bestätigt auch eine Langzeitstudie, die das Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP) im Auftrag des Fachverbandes WDVS durchführt. Im Rahmen dieses Projekts wurden insgesamt zwölf mehrgeschossige Wohngebäude mit verschiedenen WDV-Systemen über einen Zeitraum von mittlerweile mehreren Jahrzehnten wiederholt auf mögliche Schäden hin begutachtet. In einem Ergebnisbericht von 2015 halten die Forscher fest, dass das Alterungsverhalten und der Wartungsaufwand bei Fassaden mit WDVS nicht anders zu bewerten sei wie bei konventionell verputzten Außenwänden. Das Alter der überprüften WDV-Systeme schwankte zu diesem Zeitpunkt zwischen 29 und 45 Jahren.


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Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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