
Integrierte Photovoltaik erlaubt die doppelte Nutzung von Flächen. Grafik: Fraunhofer ISE
Solartechnik: Ungenutzte Potenziale
Auf dem Weg zur Klimaneutralität wird der Bedarf an grünem Strom in Deutschland deutlich ansteigen. Neben der Windenergie bedarf es auch eines deutlichen Ausbaus von Photovoltaik und Solarthermie. Doch wohin mit all den Solarmodulen? Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme hat im Auftrag von Greenpeace eine Kurzstudie zu den Potenzialen von Photovoltaik und Solarthermie veröffentlicht. Die Forschenden sehen hierzulande ein großes Potenzial vor allem für Solarstrom – durch Integration von Photovoltaikmodulen in bereits genutzte Flächen.
Die Ende Juli 2021 veröffentlichte Studie „Solaroffensive – Wie wir mit Sonnenenergie einen Wirtschaftsboom entfesseln und das Klima schützen“ legt einen Schwerpunkt auf das Potenzial der so genannten integrierten Photovoltaik. Darunter versteht man die Kombination von Sonnenstromerzeugung mit anderen Flächennutzungen. So lassen sich Photovoltaikanlagen etwa in landwirtschaftliche Flächen integrieren sowie entlang von Verkehrswegen und auf Parkplätzen installieren. Oder man lässt die Module auf gefluteten Tagebauen schwimmen und montiert sie auf Fahrzeuge. Und natürlich bieten auch bestehende Gebäudedächer und -fassaden noch ein riesiges Flächenpotenzial.
Solarthermie: Sofort einsatzbereit
Die Stärke der Solarthermie liegt darin, dass man mit ihr Warmwasser und Heizwärme ohne Brennstoffverbrauch bereitstellen kann und dass sie sich sowohl mit konventionellen Wärmeerzeugern (Gas, Öl) als auch mit regenerativen Wärmequellen (Pellets, Biogas) beziehungsweise mit den Umweltwärme nutzenden Wärmepumpen kombinieren lässt. Dr. Korbinian Kramer, Koordinator für Solarthermie am Fraunhofer ISE: „Solarthermie stellt Wärme weitestgehend CO2-frei zur Verfügung. Die Technologie kann in vielen Anwendungsfeldern heute direkt eingesetzt werden und ist damit eine zielführende, schnell verfügbare Option für die Wärmewende.“
Laut Studie sind in Deutschland aktuell Solarthermie-Anlagen mit einer Gesamtleistung von etwa 15 Gigawatt installiert. Für eine klimaneutrale Wärmeversorgung empfehlen die Fraunhofer-Forschenden – neben anderen Maßnahmen – einen Ausbau auf 45 bis 49 Gigawatt Leistung.
Massiv steigender Strombedarf

Die 62-seitige Kurzstudie entstand im Auftrag von Greenpeace.
Doch der Fokus der Studie liegt wie gesagt nicht auf dem Wärmemarkt, sondern auf den Potenzialen der Photovoltaik (PV) – also der Stromproduktion durch Solartechnik. „Insgesamt verringert die Stromerzeugung auf Basis der Sonne die Emissionen von Treibhausgasen um den Faktor 16 bis 40 verglichen mit Gas und Braunkohle“, heißt es in der Studie. Deshalb führt in Zukunft kein Weg an Solarstrom vorbei.
Durch die zu erwartende, stark zunehmende Elektrifizierung des Energie-, Gebäude-, Verkehrs- und Industriesektors wird der Strombedarf hierzulande massiv ansteigen. Die Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (Fraunhofer ISE) rechnen – im Vergleich zu heute – mit einem Anstieg um den Faktor 1,2 bis 1,4 bis zum Jahr 2030. Bis 2045 soll der Strombedarf sogar um den Faktor 2 bis 2,5 wachsen.
Laut aktuellem Klimaschutzgesetz muss Deutschland bis 2045 treibhausgasneutral sein. Das setzt voraus, dass der Strom künftig aus sauberen, regenerierbaren Quellen stammt. 2020 wurden hierzulande immerhin bereits 45 % des Bruttostromverbrauchs durch erneuerbare Technologien (PV, Wind, Biomasse und Wasserkraft) bereitgestellt. Für das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 reicht das aber natürlich noch nicht.
„Um 100 % unseres bis dahin nochmal stark gestiegenen, Strombedarfs mit Erneuerbaren zu decken, müssen wir im Vergleich zu heute das sechs- bis achtfache an Photovoltaik-Leistung installieren“, erläutert Dr. Christoph Kost, Leiter der Gruppe Energiesysteme und Energiewirtschaft am Fraunhofer ISE. Die Forschenden empfehlen daher ein Ausbauziel von 300 bis 450 Gigawatt installierter PV-Leistung bis 2045. Aktuell sind es 56 Gigawatt (Juni 2021). Davon sind derzeit 70 % Dachanlagen, der Rest wurde als Freiflächenanlagen gebaut.
Agri-PV und schwimmende Module

Die Studie schätzt die Potenziale integrierter PV in verschiedenen Bereichen. Grafik: Fraunhofer ISE
Es wäre aber viel mehr möglich – nämlich in Form von integrierter PV auf bereits genutzten Flächen. Die Studie untersucht sechs unterschiedliche Flächentypen, die insgesamt ein Potenzial von rund 3.000 Gigawatt PV-Installations-Leistung bieten könnten. Neben dem „Klassiker“ der bauwerkintegrierten Photovoltaik auf Dächern und an Fassaden wäre da zum Beispiel die Agri-Photovoltaik. Diese ermöglicht Agrar- und Stromproduktion auf derselben Fläche. Zu unterscheiden sind hier bodennahe Modul-Konstruktionen mit großen Reihenabständen und hoch aufgeständerte PV-Anlagen.
Letztere können für die unter ihnen stattfindende Landwirtschaft sogar förderlich sein. Indem die relativ hoch über dem Boden schwebenden Module nämlich Schatten spenden und Schutz vor extremer Witterung bieten, erhöhen sie möglicherweise die Klimaresilienz mancher Pflanzenarten. In der Studie wird das Flächenpotenzial für hoch aufgeständerte Agri-PV in Deutschland auf 1.700 Gigawatt installierter PV-Leistung geschätzt, und das von bodennaher Agri-PV auf etwa 1.200 Gigawatt. Die Frage nach der tatsächlichen Eignung einzelner Kulturen sei derzeit aber noch Gegenstand der Forschung – heißt es in der Kurzstudie.
Umfangreiche Informationen über die Potenziale von Agri-Photovoltaik in Deutschland hat das Fraunhofer ISE übrigens auch in einem eigenen Leitfaden zusammengefasst, der hier als kostenloser Download bereitsteht. Aber nicht nur „auf dem Acker“, sondern auch auf dem Wasser sind PV-Module denkbar. Für den Bereich der „schwimmenden PV“ kommen in Deutschland vor allem ehemalige oder aktive Tagebauseen sowie Stauseen in Frage. Die Studie sieht hier ein Potenzial von etwa 26 Gigawatt auf Braunkohletagebauen und circa 18 Gigawatt auf anderen künstlichen Seen.
PV auf Parkplätzen und Straßen

Dieses moderne Solarpflaster wurde aus recyceltem Kunststoff hergestellt. Foto: Platiosolar
Als urbane PV bezeichnet die Studie PV-Kraftwerke auf versiegelten Flächen in Siedlungsgebieten, aber jenseits von Gebäuden und Straßen. Beispiele dafür sind aufgeständerte Modulüberdachungen von Parkplätzen oder auch öffentlichen Plätzen. Für PV über Parkplätzen sieht die Studie in Deutschland ein technisches Leistungspotenzial von insgesamt 59 Gigawatt.
Mit solchen Überdachungen urbaner Räume ließe sich angesichts der Realitäten des Klimawandels ein doppelter Nutzen realisieren: Die Anlagen könnten einerseits Schatten spenden, also der zunehmenden Aufheizung urbaner Zentren entgegenwirken, und andererseits dringend benötigten sauberen Strom bieten. Als Alternative nennt die Studie aber auch begehbare Solarpflaster, also Pflastersteine mit integrierten PV-Elementen wie sie die ungarische Firma Platiosolar bereits heute herstellt.
Bisher weitgehend ungenutzte Ausbaupotenziale bieten auch PV-Module im Bereich von Verkehrswegen, sei es als Lärmschutzwand, als Wegüberdachung oder als begeh- und befahrbarer Straßenbelag, und natürlich die fahrzeugintegrierte PV. Allein für die PV-Integration in befestigte Straßen (Überdachung oder Straßenbelag) schätzt die Studie das Leistungspotenzial hierzulande auf 300 Gigawatt. Für PV auf Autos und Lkw liegt die Schätzung bei 55 Gigawatt.
Arbeitsplatz- und Preisentwicklung
Die Autoren der Studie äußern sich auch zu möglichen Arbeitsplatzchancen durch einen verstärkten PV-Ausbau. Eine Photovoltaik-Produktion in Europa schüfe nicht nur Import- Unabhängigkeit für den systemkritischen Energiesektor, sondern auch etwa 750 Arbeitsplätze für jedes Gigawatt an PV-Modulproduktionskapazität. Weitere 3.500 Arbeitsplätze pro Gigawatt könnten durch die Installation von PV-Kraftwerken entstehen.
Für Module aus heimischer Produktion argumentiert die Studie auch deshalb, weil deren Treibhausgas-Bilanz deutlich besser wäre als die von Importmodulen aus China. Der Zeitpunkt für eine Zurückverlagerung der Herstellung nach Europa sei günstig, weil die Transportkosten aus Fernost steigen – unter anderem wegen der höheren CO2-Bepreisung,
Das Argument, Solarstrom sei (noch) zu teuer, gilt heute jedenfalls nicht mehr. Die Studie weist darauf hin, dass die Produktionskosten für solaren Strom seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000 um 80 bis 90 % gesunken sind. Für große Freiflächen-Solarkraftwerke lägen die Kosten heute zwischen 3 und 5,5 Cent pro Kilowattstunde, für kleine Dachanlagen (bis 30 Kilowatt) zwischen 6 und 11 Cent pro Kilowattstunde Solarstrom.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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