
Photovoltaik-Dachelemente für das Pilotprojekt in Herford. Foto: Freitag – Pribaten
Rückenwind fürs serielle Sanieren
In Deutschland schreitet die Sanierung des Gebäudebestandes bisher nur quälend langsam voran. Mehr Tempo verspricht sich die Politik von der Umsetzung serieller Sanierungskonzepte. Seit Mai gibt es dafür nun auch finanziellen Rückenwind: Ein neues Programm des Bundeswirtschaftsministeriums fördert technologische und konzeptionelle Innovationen für serielle Gebäudesanierungen. Derweil geht die Praxiserprobung weiter: Auch in Bochum startete kürzlich ein Pilotprojekt der „Energiesprong“-Initiative.
Alle Details zur neuen „Bundesförderung Serielles Sanieren“ kann man auf der Website des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) nachlesen. Gefördert werden insbesondere die (Weiter-)Entwicklung neuartiger Verfahren und Komponenten zur seriellen Sanierung sowie die Etablierung neuer Sanierungsverfahren am Markt. Die Förderung richtet sich an Bau- und Zulieferunternehmen beziehungsweise handwerkliche Betriebe, die im Bereich des seriellen Sanierens aktiv sind. Anträge können beim BAFA gestellt werden.
Drei Fördermodule

Montagebereites Fassadenmodul (Innenseite) in Bochum. Foto: Grimm
Was die Bundesregierung unter seriellem Sanieren versteht, hat das BAFA auf seiner Website folgendermaßen definiert: „Serielles Sanieren bedeutet demnach die energetische Sanierung von bestehenden Gebäuden unter Verwendung abseits der Baustelle vorgefertigter Fassaden- beziehungsweise Dachelemente einschließlich damit verbundener Anlagentechnik (zum Beispiel Wärmepumpenmodule) sowie deren Montage an bestehende Gebäude. Die abseits der Baustelle vorgefertigten Elemente weisen dabei einen so hohen Vorfertigungsgrad auf, dass sich im Vergleich zur herkömmlichen Sanierung der zeitliche Aufwand vor Ort deutlich reduziert.“
Förderfähig sind übrigens auch Durchführbarkeitsstudien, die dazu dienen, für konkrete Gebäude zu untersuchen, ob diese aus technischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Erwägungen überhaupt für eine serielle Sanierung in Frage kommen (Modul I der Bundesförderung). Förderfähig sind ferner Forschungs- und Entwicklungsarbeiten mit dem Ziel, Muster- und Prototyp-Elemente für serielle Sanierungen herzustellen oder aber die Prozesse zur Herstellung solcher Elemente zu optimieren (Modul II). Schließlich kann man auch Gelder für den Aufbau von Produktionskapazitäten zur Herstellung von Fassaden- und Dachelementen für die serielle Sanierung beantragen.
Trend aus den Niederlanden
Die Idee zum seriellen Sanieren stammt übrigens aus den Niederlanden, wo in den letzten Jahren bereits viele tausend Gebäude nach dem so genannten Energiesprong-Konzept („Energiesprung“) seriell saniert wurden. Hierzulande hat die Deutsche Energie-Agentur (dena) diese Idee aufgegriffen und zusammen mit Wohnungsgesellschaften und Bauunternehmen sowie dem Bundeswirtschaftsministerium Anfang 2017 die Initiative „Energiesprong Deutschland“ gegründet. Seitdem haben die Partner bereits mehrere Pilotprojekte gestartet, bei denen es ganz praktisch darum geht, Mehrfamilienhäuser aus dem Bestand mithilfe von vorgefertigten Elementen kostengünstig und zeitsparend zu sanieren.
Über das Energiesprong-Konzept und die ersten Pilotprojekte haben wir bereits in den Beiträgen „Was ist serielles Sanieren?“ und „Serielles Sanieren nimmt Fahrt auf“ informiert. Das Ziel der Projekte besteht immer darin, eine energetisch veraltete Bestandsimmobilie in ein Nullenergiehaus („Net-Zero-Standard“) zu verwandeln. Energiesprong versteht darunter Gebäude, die übers Jahr gerechnet nicht mehr Energie für Heizung, Warmwasser und Haushaltsstrom verbrauchen als sie selbst erzeugen können. Für Mieter soll die Sanierung zudem nicht zu höheren Warmmieten führen.
Sanierung in Hameln abgeschlossen

Das Energiesprong-Pilotprojekt in Hameln wurde als erstes erfolgreich abgeschlossen. Foto: dena
Im März dieses Jahres konnte Energiesprong Deutschland den endgültigen Abschluss des ersten Pilotprojekts verkünden. In Hameln wurde ein zweistöckiger Wohnblock aus den 1930er Jahren mit vorgefertigten Dach- und Fassadenelementen sowie vorgefertigter Haustechnik modernisiert.
Die Fassadenelemente fertigte ein Fertigbauunternehmen aus Brandenburg, bevor sie auf die Baustelle transportiert und dort einfach als neue Hülle an das Bestandshaus montiert wurden. Auch Fenster, Lüftung, Stromkabel, Glaswolle-Dämmstoff und Beschichtungen wurden bereits vorab in die Elemente integriert. Den Net-Zero-Standard erreicht das Gebäude durch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, die über das Jahr gerechnet so viel Energie erzeugt, wie in den 12 Wohnungen für Heizung, Warmwasser und Strom benötigt wird. Eine Wärmepumpe und ein Lüftungssystem mit Wärmerückgewinnung vervollständigen die Haustechnik.
Die Erfahrungen aus Hameln sollen jetzt in die anderen Pilotprojekte einfließen. „Aus den in Hameln gemachten Erfahrungen heraus lassen sich Technologien und Abläufe schrittweise verbessern“, sagt Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung. „Durch Skalierung und Innovationen werden die Kosten weiter sinken. So kommen wir Schritt für Schritt von der Pilotphase zur Serienreife. Für Unternehmen der Baubranche entsteht hier gerade ein zukunftsweisender und profitabler Markt.“ Die dena schätzt das Potenzial serieller Sanierungen in Deutschland allein bei kleinen und mittleren Mehrfamilienhäusern auf rund 300.000 Gebäude.
Studentenwohnungen in Herford
In diesem Jahr hat Energiesprong Deutschland bereits zwei weitere Pilotprojekte gestartet. In Herford ist die Sanierung von gleich vier Gebäuden mit insgesamt 24 Wohnungen geplant. Die Häuser stammen aus dem Jahr 1957, haben eine Gasheizung und sind bislang überhaupt nicht gedämmt. Bewohnt werden sie von Studierenden der Fachhochschule für Finanzen, früher dienten die Gebäude als Kaserne für britische Soldaten.
Das Sanierungskonzept besteht aus vorgefertigten Paneelen mit verglaster Solarwaben-Dämmung, gedämmten Dachelementen, einer vollelektrischen Wärme- und Warmwasserversorgung mittels Infrarot-Heizungen und Durchlauferhitzern sowie Photovoltaik auf dem Dach und den Loggia-Brüstungen. Die Fertigstellung des im Juli gestarteten Projekts ist für November dieses Jahres geplant.
Pilotprojekt in Bochum

Die Fassadenmodule in Bochum sind im Erdgeschoss mit einer Putzträgerplatte und darüber mit Holzprofilen bekleidet. Foto: Grimm
Mitte September begann dann die Element-Montage beim ersten Pilotprojekt im Ruhrgebiet. Der viergeschossige Wohnungsbau im Bochumer Stadtteil Harpen stammt aus dem Jahr 1968 und ist mit seinen 32 Wohneinheiten und insgesamt 2.368 m2 Wohnfläche der bisher größte Sanierungsfall, der hierzulande nach dem Energiesprong-Konzept seriell saniert werden soll. Da der Autor dieses Beitrags kürzlich Gelegenheit hatte, die Baustelle des Eigentümers VBW Bauen und Wohnen GmbH persönlich zu besuchen, soll auf dieses Projekt etwas genauer eingegangen werden.
In der Bochumer Mörikestraße will man den Net-Zero-Standard durch Dämmung mit vorgefertigten Fassadenelementen in Holztafelbauweise sowie vollflächigen Photovoltaik-Modulen auf einem komplett neuen Flachdachaufbau erreichen. Die Wohnungen bekommen zudem freistehende Vorstellbalkone, und die Kellerdecke des Gebäudes wird mit Steinwolle gedämmt.
Jede Wohnung erhält zudem eine multifunktionale Einheit zur Wärmeversorgung, Warmwasserbereitung und kontrollierter Wohnraumlüftung. In Bad, Küche und Flur wird künftig die verbrauchte Luft abgesaugt und über Luftkanäle nach außen geführt. Auf gleichem Weg erfolgt die Zufuhr von Frischluft zum Gerät, wo die Luft durch Wärmepumpen auf Raumtemperatur erwärmt und gleichmäßig in die Wohn- und Schlafräume verteilt wird.
VBW plant aktuell mit 4,5 Mio. Euro Investitionskosten für das Projekt, das bis Anfang 2022 abgeschlossen sein soll. Ein Novum ist, dass diese serielle Sanierung stattfindet, während das Gebäude bewohnt bleibt. Die Mieter sollen durch die Modernisierung künftig mehr als die Hälfte ihrer bisherigen Heizkosten einsparen. Für den Strom vom Dach können sie einen verbilligten Mieterstromvertrag bei den Stadtwerken Bochum abschließen. Das Gesamtgebäude soll künftig Jahr für Jahr rund 92 Tonnen weniger CO2-Emissionen verursachen.
105 Elemente für die Altfassade

Pilotprojekt Bochum: Die Module werden direkt auf der Altfassade montiert. Foto: Grimm
Beim Bochumer Projekt sind insgesamt 105 Elemente an der Altfassade zu befestigen. Dabei handelt es sich um Wandmodule in Holztafelbauweise, die im Kern mit Zellulose-Flocken gedämmt sind und auf der Innenseite zudem über eine Dämmschicht aus Steinwolle verfügen. Die Vorfertigung und Montage dieser Bauteile übernimmt das Bauunternehmen B&O Bau NRW GmbH. Fensterelemente und Lüftungsrohre werden bereits werkseitig in die Elemente integriert.
Vom Schichtaufbau her sind alle Elemente größtenteils identisch. Einzige Ausnahme: Im Erdgeschoss besteht die äußerste Schale aus einer Putzträgerplatte, die nach der Montage noch verputzt werden muss. In den übrigen Stockwerken kommt dagegen eine Fassadenverkleidung aus Holzprofilen zum Einsatz.
Was auffällt: Bei den aktuell in Herford und Bochum laufenden Projekten wird für die Ausführung der Sanierungen vor Ort ein Zeitraum von etwa drei bis vier Monaten eingeplant. Von der Energiesprong-Praxis in den Niederlanden hört man dagegen immer wieder, dass serielle Sanierungen dort mittlerweile nur noch wenige Tage dauern würden. Dieser deutliche Unterschied lässt sich zum Teil wahrscheinlich damit erklären, dass es sich in Deutschland noch um Pilotprojekte handelt, Standard-Elemente noch im Entwicklungsstadium stecken und sich die hiesigen Abläufe noch „einspielen“ müssen.
Außerdem ist der bloße Vergleich von Montagezeiten auch wenig aussagekräftig. Zumindest lässt sich daraus nicht automatisch die Leistungsfähigkeit serieller Sanierungslösungen ableiten. Schließlich kommt es immer auch auf die jeweiligen Objektgrößen und sonstigen Rahmenbedingungen vor Ort an. Und natürlich spielt die eingesetzte Manpower für Fertigung und Montage ebenfalls eine entscheidende Rolle.
In Bochum benötigt das zuständige Bauunternehmen etwa einen Tag, um ein einzelnes Fassadenelement vorzufertigen. Etwa sechs davon werden täglich in der Mörikestraße montiert. Aber das sind natürlich objektabhängige Daten und keine fixen Zahlen, die allgemein das Potenzial der seriellen Sanierung definieren würden. Bei Einsatz von entsprechender Manpower und Transportkapazitäten wäre es grundsätzlich wahrscheinlich sogar möglich, 105 Fassadenelemente an nur einem Tag zu montieren.
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
freierjournalist@rolandgrimm.com
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