
Die Popcorn-Sandwichplatten wurden unter anderem mit Decklagen aus Sperr- und Spanholz, Aluminium und HPL beschichtet. Foto: Moira Burnett
Popcorn für den Leichtbau
Forscher haben leichte Bauplatten mit einem Kern aus expandierten Maiskörnern entwickelt – also aus Popcorn. Sie sollen bei gleichen mechanischen Eigenschaften nur halb so schwer wie Spanplatten sein. Einsatzmöglichkeiten sehen die Wissenschaftler insbesondere im Möbelbau, aber auch im Dämmstoffbereich sowie im Automobil-, Schiff- und Messebau.
Das Forschungsprojekt wurde von September 2014 bis August 2017 an der Universität Göttingen durchgeführt. Der Schlussbericht unter dem Namen „Entwicklung von innovativen Verbundwerk- und Dämmstoffen auf der Basis von expandiertem Getreide mit einem breiten Anwendungsspektrum“ ist im April 2018 erschienen. Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft über den Projektträger Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) gefördert.
Völlig neu ist die Idee der Platten mit Popcorn-Kern übrigens nicht. Die nun entwickelten Sandwichplatten sind eine Weiterentwicklung. Bereits zwischen 2007 und 2010 entstanden in einem Vorläuferprojekt, ebenfalls an der Universität Göttingen, erste Verbundplatten aus Holzspänen und Maisgranulat. Diese vertreibt der Hersteller Pfleiderer schon seit einiger Zeit unter dem Markennamen „Balance-Board“, insbesondere an Küchenhersteller. Die im Folgeprojekt entwickelten Platten sind nun noch leichter als das Balance-Board.
Leichtbau-Innovation
Die neuen Sandwichplatten haben ähnliche Eigenschaften wie Spanplatten, sind dabei aber nur halb so schwer. Es handelt sich also um eine echte Leichtbau-Innovation. Von Leichtbauplatten in der Holzwerkstoffindustrie spricht man ab einer Rohdichte von weniger als 500 kg/m3. Herkömmliche Spanplatten haben eine Rohdichte um 600 kg/m3. Die im Rahmen des Projekts entwickelten Platten weisen – je nach Art der verwendeten Deckschichten – Rohdichten zwischen 300 und 450 kg/m3 auf.
Die Göttinger Wissenschaftler untersuchten zwei verschiedene Verfahren zur Herstellung dreischichtiger Sandwichplatten. Beim so genannten Einschritt-Verfahren werden sowohl die expandierten Maiskörner für den Plattenkern als auch Holzspäne und Holzfasern für die beidseitigen Deckschichten zunächst beleimt und dann in der jeweils gewünschten Schichtstärke nacheinander gestreut. Anschließend verpresst man die Materialien in einem Arbeitsschritt zu einer Platte. Im Zweischritt-Verfahren stellten die Forscher zunächst die reine Popcornplatte her und beplankten sie erst anschließend mit verschiedenen Deckschichtmaterialien wie Sperrholz, Spanplatten, Aluminium oder HPL.
Mögliche Einsatzbereiche
Eingesetzt werden könnten die Platten in vielen klassischen Anwendungsbereichen für Leichtbaukonstruktionen, also zum Beispiel im Automobil-, Schiff- und Messebau und natürlich im Möbelbau. Da das luftige Popcorngranulat eine sehr geringe Wärmeleitfähigkeit hat, ist auch der Einsatz als Dämmstoff denkbar. Für die Herstellung von Dämmstoffplatten aus Popcorn wird übrigens ganz auf Deckschichten verzichtet. Stattdessen vermischt man Popcorn- und Holzfasermaterial miteinander.
Für Feuchträume scheinen die in Göttingen entwickelten Platten bisher allerdings noch nicht geeignet. Die Untersuchungen an der Universität haben nämlich gezeigt, dass popcornbasierte Verbundplatten bei Feuchteeinfluss weniger dimensionsstabil als Holzwerkstoffe sind. Ab einer relativen Luftfeuchtigkeit von etwa 82 Prozent setzt ein Schrumpfprozess ein. „Für eine zukünftige Anwendung muss eine wasserundurchlässige Beschichtung in Betracht gezogen werden“, heißt es dazu im Schlussbericht.
Belastbar wie Spanplatten

Aus den Verbundplatten kann man zum Beispiel Möbel bauen. Foto: Caroline Pertsch
Ansonsten schneiden die Platten in Sachen Stabilität aber gut ab. Prüfungen ergaben, dass sie mechanisch belastbar wie herkömmliche Spanplatten sind. Die im Einschritt-Verfahren hergestellten Platten erreichten – bei nur halb so hoher Rohdichte – die gleichen Biegeeigenschaften wie vergleichbare Spanplatten. Die im Zweischritt-Verfahren hergestellten und mit Sperrholz beziehungsweise Aluminium beschichteten Platten waren sogar deutlich tragfähiger als die jeweiligen Referenz-Spanplatten.
Der Vorteil der popcornbasierten Plattenwerkstoffe ist aber nicht nur, dass sie bei vergleichbarer Belastbarkeit deutlich leichter sind als herkömmliche Holzwerkstoffe. Beim Forschungsprojekt ging es auch um die Schonung natürlicher Holz-Ressourcen. Hintergrund ist hier unter anderem, dass in Deutschland aus ökologischen Gründen wieder vermehrt Laubbäume und entsprechend weniger Nadelbäume aufgeforstet werden. Holz aus Nadelbäumen ist aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften bisher aber der bevorzugte Rohstoff der Holzwerkstoffindustrie. Nadelholz könnte hierzulande also schon bald knapper und teurer werden. Das befeuert die Suche nach Alternativen.
Stärkebasierte Popcorn-Platten als Holz-Ersatz könnten in Zukunft also durchaus gefragt sein – zumal die Möbelindustrie in den letzten Jahren vermehrt leichtere Plattenprodukte nachfragt. Mit der Nutzung von Popcorngranulat können „mehrere positive Aspekte gleichzeitig vereint werden“, heißt es im Schlussbericht der Göttinger Forscher: „Zum einen kann der Rohstoff Holz durch einen schnell nachwachsenden, lokal verfügbaren Agrarrohstoff substituiert werden und zum anderen ermöglicht das Granulat auf Grund des geringen Schüttgewichtes die Ausformung einer leichten Verbundplatte.“
Formaldehyd-Ausgasung
Die Platten-Rohstoffe (Popcorn, Holzspäne/-fasern) müssen mit einem Bindemittel beleimt werden, damit sie zusammenhalten. Die Universität Göttingen experimentierte unter anderem mit natürlichen Bindemitteln, zum Beispiel auf Basis von Tannin (pflanzlicher Gerbstoff) oder dem holzeigenen Lignin. Vor allem aber kamen harnstoffformaldehydbasierte Harze und Methandiisocyanat (MDI) zum Einsatz. Das sind die Bindemittel, die man auch bei der Herstellung klassischer Spanplatten regelmäßig verwendet.
Werden die Popcornplatten mit harnstoffformaldehydbasierten Harze hergestellt, stellt sich natürlich die Frage, ob dann nicht auch gesundheitsschädigendes Formaldehyd ausgast. Im Schlussbericht heißt es dazu, „dass die Formaldehydemissionen aus den Verbundplatten sehr niedrig sind“. Die gemessenen Emissionswerte lägen unterhalb des E1-Grenzwertes von 0,1 ppm. „Interessant ist die Fähigkeit des Popcorngranulats, Formaldehyd ab Temperaturen von 70 °C zu binden“, erklärt Professor Alireza Kharazipour von der Uni Göttingen. „Dadurch wird das problematische Gas weder bei der Herstellung noch im Gebrauch freigesetzt.“
Über den Autor
Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für
BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin
BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift
baustoffpraxis.
Kontakt:
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