RM Rudolf Müller
Die Studie vergleicht die Ökobilanzen der gängigsten Dämmstoffe.  Foto: Adobe Stock / Ingo Bartussek

Die Studie vergleicht die Ökobilanzen der gängigsten Dämmstoffe.  Foto: Adobe Stock / Ingo Bartussek

Dämmstoffe
22. Mai 2020 | Artikel teilen Artikel teilen

Studie: Ökobilanz von Dämmstoffen

Welche Dämmstoffe schonen die Umwelt langfristig am besten: Synthetische Kunststoff-Hartschaumplatten aus Erdöl, Produkte auf mineralischer Basis wie Stein- und Glaswolle oder pflanzliche Isoliermaterialien, die aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden? Eine aktuelle Studie hat sich mit dieser Frage beschäftigt und die gängigsten Dämmstoffe anhand ihrer Ökobilanz miteinander verglichen. Die Ergebnisse sind zum Teil überraschend.

Bei einer Ökobilanz von Baustoffen betrachtet man die negativen Umweltwirkungen der jeweiligen Produkte über ihre gesamte Lebensdauer – von der anfänglichen Rohstoffgewinnung über die eigentliche Bauproduktherstellung und die oft jahrzehntelange Nutzungsphase bis hin zur schlussendlichen Entsorgung. Als negative Umweltwirkungen in diesem Zusammenhang gelten insbesondere Rohstoff- und Energieverbräuche sowie Schadstoffemissionen. Je geringer die Werte sind, umso besser die Ökobilanz.

Was die Studie aussagt – und was nicht

Diese Definition von Ökobilanz sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn man die Dämmstoffvergleiche betrachtet, die in der Ende 2019 veröffentlichten Studie „Ganzheitliche Bewertung von verschiedenen Dämmstoffalternativen“ zu finden sind. Es geht in dem Forschungsprojekt nicht etwa um die Qualität oder die Leistungsfähigkeit der Produkte. Auch nicht um Einsatzspektren beziehungsweise Verwendungsgrenzen. Es geht einzig und allein um die Stärken und Schwächen der verschiedenen Dämmstoffe in Bezug auf deren Ökobilanz.

Die Studie wurde gemeinsam erarbeitet vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) und vom Verein Natureplus, der seit 2001 das gleichnamige Bauprodukte-Umweltzeichen vergibt. Die Autoren weisen in einer Pressemitteilung auch selbst ausdrücklich darauf hin, dass ihr Produktvergleich allein auf den Ökobilanzdaten basiere und eben keine materialtypischen Unterschiede wie zum Beispiel Brennbarkeit, Feuchteresistenz oder Belastbarkeit berücksichtige.

Ebenfalls bedenken sollte man, dass Ökobilanzen gar nicht immer alle Umweltbelastungen erfassen können. Werden zum Beispiel EPS-Platten oder andere Kunststoff-Hartschäume auf der Baustelle zugeschnitten, fliegen fast zwangsläufig kleine Kunststoffperlen durch die Luft. Diese Art von Umweltverschmutzung durch Mikroplastik ist aber nicht Gegenstand einer Ökobilanz.

Untersuchte Dämmstoffe

Eine stoffliche Verwertung von Alt-Dämmstoffen kann die Ökobilanz signifikant verbessern. Foto: Rockwool

Eine stoffliche Verwertung von Alt-Dämmstoffen kann die Ökobilanz signifikant verbessern. Foto: Rockwool

Die Studie vergleicht die Ökobilanzen der gängigsten Dämmstofftypen. Bei den mineralischen Produkten sind das Stein- und Glaswolle sowie Schaumglas und Mineralschaum (Mineraldämmplatten). Als synthetische Dämmstoffe wurden Hartschaumplatten aus EPS, XPS und PU untersucht. Bei den pflanzlichen Dämmstoffen schließlich nimmt die Studie Einblasdämmungen aus Zellulose und Holzfaser sowie Platten und Matten aus Hanf, Jute und Holzfaser näher unter die Lupe.

Vergleicht man die Ökobilanz verschiedener Dämmstoffe, muss natürlich auch berücksichtigt werden, dass nicht alle Materialien gleich gut dämmen, dass also bei manchen Materialien größere Dämmstoffstärken notwendig sind, um dieselbe Dämmleistung zu erzielen. Die Studie berücksichtigt dies, indem sie bei der Ökobilanzierung eben nicht für alle Materialien mit derselben Dämmstoffmasse rechnet. Stattdessen wurde für jeden Dämmstoff die Masse zugrunde gelegt, die zur Erfüllung des Wärmeschutzes in unterschiedlichen Bauteilen jeweils benötigt wird.

Die Ökobilanzen der Studie berücksichtigen ferner, inwieweit die einzelnen Dämmstoffe nach ihrem Rückbau erneut in den Produktionskreislauf zurückfließen können beziehungsweise für eine stoffliche Verwertung in anderen Produkten infrage kommen. Dafür gibt es dann Pluspunkte bei der Ökobilanz – auch wenn die Autoren feststellen, dass solche Recycling-Methoden in der Praxis bisher nicht den Status Quo widerspiegeln.

Nachwachsende Rohstoffe vorn

Holzfaser-Einblasdämmung sowie Hanf- und Jutematten schneiden in der Studie bei der Ökobilanz am besten ab. Der Grund dafür ist, dass diese Dämmstoffe besonders umweltfreundlich in der Herstellung sind und bei ihrer Entsorgung nur geringe Umweltlasten verursachen. Bei Hanf- und Jute-Dämmstoffen gilt die Top-Bewertung allerdings nur, solange sie aus Restbiomasse beziehungsweise aus sekundären Rohstoffen wie gebrauchten Kakaosäcken gefertigt sind – fügen die Autoren einschränkend hinzu. Weiterhin betonen sie, dass Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen gar nicht für alle Anwendungsbereiche einsetzbar seien. Dämmstoffe aus mineralischen oder synthetischen Rohstoffen hätten dagegen ein breiteres Anwendungsspektrum.

Zellulose-Einblasdämmstoffe und Holzfasermatten findet man auf Platz zwei der Studien-Rangliste. Auf dem dritten Rang befinden sich die meisten übrigen Dämmstoffe in Platten- und Mattenform (PU-, XPS-Platten, Steinwolle-Platten, Glaswolle-Matten, Mineralschaumplatten).

Erste Überraschung: Auch trocken produzierte Holzfaserdämmplatten ordnet die Studie in Sachen Ökobilanz nur auf Platz drei ein. Weitere Überraschung: Neben Schaumglasplatten schneiden nass produzierte Holzfaserdämmplatten auf Platz vier sogar am schlechtesten ab – wegen der hohen Energiemenge bei der Herstellung dieser Produkte.

Überraschung EPS

Die vielleicht größte Überraschung ist aber, dass moderne EPS-Platten laut Studie den zweiten Platz bei der Ökobilanz belegen – zusammen mit den oben bereits genannten Zellulose-Einblasdämmstoffen und Holzfasermatten. Für Bauteile, bei denen nur plattenförmige Dämmstoffe infrage kommen – also keine losen Einblasmaterialien und auch keine flexiblen Matten – schneidet EPS in Sachen Ökobilanz sogar am besten ab! Das gilt zum Beispiel für WDVS-Fassaden.

Diese sicher unerwartete Einordnung gilt freilich nur für neue EPS-Platten, die nicht mehr mit dem umweltschädigenden Flammschutzmittel HBCD belastet sind. Die große Masse der heutigen EPS-Bestandsfassaden ist allerdings noch HBCD-belastet. Und noch eine weitere Einschränkung muss man bei der positiven Ökobilanz für EPS im Auge behalten. Die Autoren der Studie haben die Ökobilanz ja unter der Annahme erstellt, dass eine stoffliche Verwertung der Dämmstoffe am Lebensende erfolgt. Zugleich betonen sie selbst, dass dies in der Praxis aber bisher kaum passiert.

Die positive Ökobilanz für EPS beschreibt also vor allem das mögliche Potenzial des Materials, nicht etwa den Jetzt-Zustand. Die eigentliche Aussage ist also: So gut könnten EPS-Platten ökologisch betrachtet dastehen, wenn sie HBCD-frei wären und zugleich nach ihrem Lebensende in einer Kreislaufwirtschaft stofflich verwertet würden.

Recyclinggerechte Konstruktionen

Die Autoren sehen allerdings nicht nur bei EPS, sondern im Grunde bei allen Dämmstoffen noch viel Potenzial für eine verbesserte Ökobilanz. Als Problem wird genannt, dass alte Dämmstoffe bisher überwiegend in Müllverbrennungsanlagen oder in Anlagen der Zementproduktion verfeuert würden. Die Studie wirbt dagegen für eine verstärkte stoffliche Verwertung: Aufbereitete Altmassen aus den Dämmstoffen sollten zu anderen Produkten weiterverarbeitet oder als Rohstoff in die ursprüngliche Produktion zurückgeführt werden.

Voraussetzung für eine stoffliche Verwertung – und damit für eine verbesserte Ökobilanz – seien aber recyclinggerechtere Konstruktionen und Baustoffe. Gedämmte Bauteile dürften also nicht aus Materialmixen und unlösbaren Verbunden bestehen. Ferner müsse man gute stoffliche Verwertungswege in der Praxis auch tatsächlich etablieren.


Über den Autor Roland Grimm ist seit Februar 2013 freier Journalist mit Sitz in Essen und schreibt regelmäßig Fachwissen-Artikel für BaustoffWissen. Zuvor war er rund sechs Jahre Fachredakteur beim Branchenmagazin BaustoffMarkt und außerdem verantwortlicher Redakteur sowie ab 2010 Chefredakteur der Fachzeitschrift baustoffpraxis. Kontakt: freierjournalist@rolandgrimm.com

 

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